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Die Gartenkunst — 33.1920

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Albrecht, Otto: Paritätische Gartenbaukammern, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.20812#0144

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Der angezogene Reichsgesetzentwurf läßt die
Frage bezüglich der Gärtnerei noch so ziemlich
unbeantwortet. Der preußische Landesentwurf geht
aber darauf schon verhältnismäßig ausführlich ein.
In einem grundsätzlichen Punkte allerdings versagt
letzterer gegenüber den Anforderungen der neuen
Reichsverfassung, und in diesem Punkte versagt
übrigens auch der Reidis- (Referenten-) Entwurf: in
der Frage der sogenannten Parität oder der
Gleichberechtigung zwischen Unternehmern
und Arbeitnehmern. Der Artikel 165 der
Reichsverfassung bestimmt:

„Die Arbeiter und Angestellten sind dazu be-
rufen, gleichberechtigt in Gemeinschaft mit
den Unternehmern an der Regelung der Lohn-
und Arbeitsbedingungen sowie an der gesam-
ten wirtschaftlichen Entwicklung der
produktiven Kräfte mitzuwirken."

Die beiden Landwirtschaftskammer-Gesetzent-
würfe verleugnen diese Gleichberechtigung, indem
sie den Unternehmern eine Zweidrittel-, den Arbeit-
nehmern aber nur eine Ein drittel-Vertretung zu-
sprechen wollen. Die verfassungsmäßig gemeinte
Gleichberechtigung kann nach der ganzen Ent-
stehungsgeschichte des Artikels 165 nur im Sinne
einer beiderseits gleichstarken Vertretung verstan-
den, und sie darf auch nur so angewendet werden.
Jedenfalls wird arbeitnehmerseits alles getan wer-
den, damit in diesem Punkte keine Rückwärts-
entwicklung der neuen Reichsverfassung erfolgt.
Will man der Arbeitnehmerschaft hier die Parität
versagen, dann wird sie besser tun, auf jede Teil-
nahme im Rahmen dieser Kammern zu verzichten
und sich in den Bezirksarbeiterräten das erforder-
liche Gegengewicht zu schaffen, die als reine Ar-
beiterkammern sehr wohl berufsgruppenartig in
dieser Weise eingerichtet werden könnten. Ich
selbst und wohl die meisten Arbeitnehmervertreter
befürworten die letztangedeutete Lösung nicht, weil
damit die berufswirtschaftliche Gesamtarbeit, die
auch dann immer wieder auf Grundlage von gegen-
seitigen Verständigungen erfolgen müßte, nur un-
gemein erschwert und verteuert werden würde.
Wir haben allen Grund, in möglichst einfachen
Formen und damit schneller und billiger nutzbring ende
Arbeit zu leisten. Darum fordern wir auch im
Rahmen der neuen Landwirtschaftskammern und in
deren Berufs- oder Fachabteilungen die volle und
ganze Parität. Eine „halbe" hätte ohnedies keinen
rechten Sinn, weil sie die Arbeitnehmerschaft wohl
für alle Beschlüsse und Maßnahmen in gleicher
Weise verantwortlich macht, aber die Möglichkeit
ausschließt, dabei mit dem gleichen Gewicht mitzu-
wirken. Wird, wie gesagt, im Rahmen dieser
Kammern die Gleichberechtigung versagt, dann wird
die Arbeitnehmerschaft sich diese über die Bezirks-
arbeiterräte und durch diese zu verschaffen wissen.
Parität ist nun einmal die Mittellinie — und ich
möchte betonen: die goldene Mittellinie — zwischen
dem versinkenden Alten und dem werdenden Neuen.
Wer die Zeichen der Zeit versteht und wer gewillt
ist, dem Strom der ruhigen Entwicklung zu folgen,
der wird und muß m. E. diese Forderung mit unter-
stützen.

Und nun einiges über die Form und die
Aufgaben der künftigen Gartenbaukam-
mern selbst. Kurz bemerkt wurde schon, daß der
Reichs- (Referenten-) Entwurf über landwirtschaft-
liche Berufsvertretungen die Frage der Bildung von
Fachabteilungen offen" läßt. Dagegen zählt auch
dieser Entwurf, wie der für Preußen, neben anderen
Berufsarten, die im Sinne des zu schaffenden
Gesetzes zur Landwirtschaft rechnen sollen, den
Gartenbau mit auf. Den „Gartenbau", wohlge-
merkt! Die Vertreter sowohl des Verbandes deut-

scher Gartenbaubetriebe, wie auch der Arbeitnehmer-
verbände haben nun in einer allgemeinen Be-
sprechung beim preußischen Landwirtschaftsministe-
rium übereinstimmend ausgeführt, dieser Bezeich-
nung solle der größeren Deutlichkeit wegen in
Klammer „Gärtnerei" hinzugefügt werden. Das
wird auch für das Reichsgesetz zu verlangen sein,
und ebenso erscheint es mir geboten, daß in dem
Reichsgesetz, das nur ein sogenanntes Rahmengesetz
werden soll, die Sonderabteilungen des Ge-
samtgartenbaus für alle Gliedstaaten vor-
geschrieben werden; denn ein Bedürfnis dieser
Art liegt da allenthalben vor, und den Berufs-
angehörigen muß es sehr darum zu tun sein, im
ganzen Reiche gleichgeartete öffentlich-rechtliche
Berufsvertretungen zu erhalten, die dauernd und
laufend miteinander in Verkehr treten können. Im
preußischen Entwürfe wird in einem § 11 unter
der Uberschrift „Fachkammern" gesagt;

„Der Landwirtschaftskammer werden folgende
Fachkammern angegliedert: a) die Fischerei-
kammer, b) die Forstkammer und c) die Garten-
baukammer.

Jede Fachkammer (für jede Provinz ist eine
solche in Aussicht genommen) besteht aus höch-
stens 18 Mitgliedern. Die Land wirtschaftskammer
bestimmt die Zahl der Mitglieder unter Berück-
sichtigung der Art und Zahl der Fa<hangehörigen.
Der Beschluß bedarf der Genehmigung derHaupt-
landwirtschaftskammer."

Diese beiden letzteren Bestimmungen lassen
erkennen, daß es sich in Wirklichkeit nicht um eine
bloße Angliederung an die Landwirtschaftskammer
handelt, sondern zugleich um ein Abhängigkeits-
verhältnis, in das die Gartenbaukammer mitsamt
den andern Fachkammern versetzt werden soll.
Ob das in dem Punkte notwendig, erscheint mir
zweifelhaft. Doch ist es hier letzten Endes nicht
von allzugroßer Bedeutung.

Die Mitglieder der Fachkammern werden in
unmittelbarer und geheimer Wahl nach den Grund-
sätzen der Verhältniswahl gewählt. Wahlberechtigt
und wählbar ist unter den Voraussetzungen der
§§ 2 und 4 (die die Wahl zu der eigentlichen Land-
wirtschaftskammer regeln) zur Gartenbaukammer,
wer den Gartenbau als Beruf ausübt oder Eigen-
tümer oder Pächter von Grundstücken ist, die über-
wiegend für gärtnerische Zwecke genutzt werden.
Den Wahlbezirk bildet der Kammerbezirk, das
heißt je eine Provinz.

Es wird in drei Gruppen gewählt. Die Grup-
pen 1 und 2 umfassen die Inhaber von Gärtnerei-
bzw. Gartenbaubetrieben, die Gruppe 3 umfaßt
die übrigen Berufsangehörigen, das heißt alle
Arbeitnehmer mit Einschluß der mitarbeitenden
Familienangehörigen des Unternehmers, soweit
diese in der Gärtnerei hauptberuflich, nicht etwa
nur nebenher, tätig sind. — Das ist jene Bestim-
mung, die ich bereits als mit dem Artikel 165 der
Reichsverfassung im Widerspruch stehend bezeich-
nete und die ich statt der Drittelung durch Hal-
bierung ersetzt verlange. — Die beiden Unter-
nehmergruppen sollen so gebildet werden, daß in
der ersten die Inhaber größerer und in der zweiten
die Inhaber der übrigen Betriebe wählen. Jede der
beiden Gruppen muß möglichst die gleiche Arbeits-
leistung vertreten. Abstrakt dargestellt heißt das :
Wenn in dem Wahlbezirk 100 Großbetriebsinhaber
ebensoviel Arbeitsleistung, das heißt Zahl von Ar-
beitskräften (die Gesamt-Arbeitstage der Saison-
arbeiter werden durch 300 dividiert und auf je
300 Arbeitstage eine Arbeitskraft gerechnet) be-
schäftigen, wie die übrigen 1000 kleineren Betriebe,
so wählen jene 100 Unternehmer genau so viele
Mitglieder in die Kammer wie die 1000 anderen.

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