Empfindsamkeit, ist von einem tiefen Ernst durch-
weht. Man spielt nicht mehr Einsiedler, sondern
sinnt in den Einsiedeleien über ernste, höchste
Dinge nach („Einsamkeit und Stille führen zu Gott,
wie einiges Unglück zum Guten führet“ lautet eine
Inschrift in der Wörlitzer Einsiedelei), Borken-
häuschen, einst lauschige Plätzchen frivoler Rendes-
vous und kecker Spielereien, weiht man jetzt dem
Andenken eines Philosophen („Eremitage des So-
krates“ auf Wilhelmshöhe). Der der Belustigung
dienende Irrgarten des Rokoko wird nun zur Dar-
stellung der Irrwege des menschlichen Lebens
und zum moralischen Erzieher (die Inschrift im
Wörlitzer Irrgarten: „Wähle Wanderer deinen Weg
mit Vernunft!“). Und den gleichen, ernsten, morali-
sierenden Zug künden in Schwetzingen die 23 Sitten-
sprüche aus dem Koran, die außen und innen an
der 1784 vollendeten Moschee sich befinden („In
den Sommertagen sei der Ameise gleich“, „Reden
ist Silber, Schweigen ist Gold“, „Fliehe die Faulheit,
sie bringt Schaden“ usw.). Und wie anders als
der frivole Ludwigsberger Friedhof ist es, wenn bei
der Anlage des Wörlitzer Parkes der um die alte
Kirche gelegene Friedhof verschwinden muß, aber
auf einer kleinen Anhöhe 1773 ein großer Sarkophag
aufgestellt wird ,,angefüllt mit Überbleibseln der
Gebeine vor uns Gestorbener, die uns zu unseren
Wohnungen Platz einräumten, wie wir Anderen
wieder Platz machen werden“, wie die Inschrift
besagt. —
Auch die Vorliebe für Chinesisches, überhaupt
Asiatisches ist nicht mehr spielerisch, sie entspringt
dem ernsten Drange, von jenen fernen Ländern zu
wissen, mit ihrer Kultur vertraut zu sein (Cooks
und Forsters Weltreisen!), wie ja in der Tat durch
wirkliche Anschauung von China (Chambers!) das
Chinesische in die englische Gartenkunst und da-
mit auch Deutschlands gekommen ist. Die Gotik,
die bald zu einem der wichtigsten Bestandteile der
Romantik wurde, ist zwar — das war der Romantik
ja nicht anders möglich — stark mit dem Herzen
empfunden worden, aber doch nicht minder mit dem
Verstände, mit dem Wissen von ihrer Bedeutung in
der Vergangenheit. Herzog Franz von Anhalt-
Dessau, der Schöpfer des Wörlitzer Parkes, hat
einmal ausdrücklich betont „ich aber halte es mit
Erwin von Steinbach und den Goten“. — Überall
also Ernst, Ruhe, Sachlichkeit trotz aller Sehnsucht,
aller Sentimentalität, trotz aller Empfindsamkeit.
Wie hat es zu dieser bedeutsamen Wandlung
kommen können, was hat aus der Rokokoromantik
die Romantik um 1800 geschaffen? Hier hat der
Klassizismus gewirkt, er ist die Veranlassung für
jene Änderung geworden. Bedenken wir doch, was
es hieß, als man- 1738, bezw. 1748 in Herculanum
und Pompeji die ersten Ausgrabungen machte, als
die Antike, von der man trotz allem letzten Endes
doch nur wenig wußte, nun aus der Lava zum
Lichte neu emporstieg! Wir können uns heute
kaum noch eine Vorstellung davon machen, was
das damals bedeutete, als in die Welt des ewig
lachenden, ewig tändelnden, ewig lustigen Rokoko
ein Hauch der bei all ihrer freudigen Lebens-
bejahung gemessenen Antike, der Gräberstädte
drang. Empfindsam, überaus empfindsam war ja
trotz aller Frivolität, aller letzten Endes künstlichen
Lustigkeit die Rokokowelt, wie ganz anders mußte
sie von jener neuwiederkehrenden Antike ergriffen
werden, als wir Menschen des 20. Jahrhunderts,
wenn zu uns die Kunde von neuen Ausgrabungen
dringt! Wie ein gewaltiges „memento mori!“ drang
der Klassizismus in die Welt des Rokoko ein, alles
Tändeln, alles Scherzen, alle leichte Grazie schwand
und ernste Gemessenheit, ernstes Sinnen, ernste
Würde trat an seine Stelle. Nicht war auf einmal
alles Rokoko erstorben, nein, nur langsam wich es;
im Louis XVI schloß es mit dem Neuen noch ein
Kompromiß, um dann langsam, aber stetig zurück-
zubleiben; die „edle Einfalt und stille Größe“, die
ruhige Linie behielt die Oberhand.
Ganz gewiß ist der Einfluß Rousseaus auf die
gesamte Kultur und damit auch die Kunst der Zeit
von höchster Bedeutung, aber sein Ruf „zurück zur
Natur!“ hat doch zunächst eine mehr spielerische
Beachtung gefunden; man kehrte zur „Natur“ zurück,
aber indem man sich als Bauersleute kostümierte
und — wie Marie Antoinette — die Kühe melkte.
Zunächst alles nur ein Spiel, eine neue willkommene
Abwechslung im Rahmen der üblichen Vergnügungen.
Denn was war es anders als Spielerei, wenn man
zwar Obst und Milch genoß, aber aus goldenen
Schüsseln, wenn Marie Antoinette selbst gemolkene
Milch eigenhändig ihren Gästen in Petit Trianon
reichte, aber in Tassen aus feinsten Rosa-Sevres-
Porzellan und in der Form ihrem „eigenen schönen
Busen nachgebildet“2), wenn man die Laternen mit
Getreidehalmen schmückte, wenn der junge Karl
August von Weimar seine Gäste einmal in das
Borkenhäuschen ladet und von Mönchen empfangen
läßt, dann aber die Bretterwand des Hintergrundes
fällt und eine prunkvolle Tafel sichtbar wird? Das
alles ist letzten Endes Rokoko, aber nicht die Ro-
mantik, mit der wir uns hier befassen, die Romantik
der Zeit um 1800. Dieser erst war es bitterer
Ernst um die Einsiedeleien, die Grabmäler, dre
Naturliebe. Der Einfluß des ernsten Klassizismus
auf diese Epoche der Romantik um 1800 muß er-
faßt werden. Damals erst wird Rousseaus Lehre
aus einer Modesache zum Evangelium, damals erst
wird Rousseau wahrhaft verstanden. Damals, nach
Rousseaus Tode (1778), errichtete der Herzog Franz
von Anhalt-Dessau im Wörlitzer Parke ihm ein
Denkmal mit folgender Inschrift: „Dem Andenken
J. J. Rousseaus, Bürgers zu Genf, der die Witzlinge
zum gesunden Verstände, die Wollüstlinge zum
wahren Genüsse, die irrende Kunst zur Einfalt der
Natur, die Zweifler zum Trost der Offenbarung mit
männlicher Beredsamkeit zurückwies. Er starb den
III. Jul. MDCCLXXVIH“. Das ist wahres Verstehen
der Gedanken Rousseaus, nicht das Spielen mit
ihnen am Hofe der Marie Antoinette. —
Wie aber soll die Gotik, die doch ganz wesent-
lich der Romantik um 1800 das Gepräge gibt, wie
soll sie mit dem Klassizismus unter einen gemein-
samen Gedanken gebracht werden? Gotik und
Klassizismus sind unüberbrückbare Gegensätze an
sich, und doch sind beide in der Zeit um 1800
letzten Endes eins. Der Gotik von damals
fehlt das Eine, was das Große und Wunderbare an
der mittelalterlichen, der wahren Gotik war, es fehlt
die Höhentendenz, die Schlankheit der Formen, das
wunderbare Auflösen der Wände und damit das
Unruhige, das der mittelalterlichen Gotik den un-
leugbaren malerischen Reiz verlieh. Die Gotik um
1800 ist mehr auf Massen-, als auf Gliederwirkung
2) A. von Gleichen-Rußwurm: „Das galante Europa . . . .“,
Stuttgart, S. 395.
weht. Man spielt nicht mehr Einsiedler, sondern
sinnt in den Einsiedeleien über ernste, höchste
Dinge nach („Einsamkeit und Stille führen zu Gott,
wie einiges Unglück zum Guten führet“ lautet eine
Inschrift in der Wörlitzer Einsiedelei), Borken-
häuschen, einst lauschige Plätzchen frivoler Rendes-
vous und kecker Spielereien, weiht man jetzt dem
Andenken eines Philosophen („Eremitage des So-
krates“ auf Wilhelmshöhe). Der der Belustigung
dienende Irrgarten des Rokoko wird nun zur Dar-
stellung der Irrwege des menschlichen Lebens
und zum moralischen Erzieher (die Inschrift im
Wörlitzer Irrgarten: „Wähle Wanderer deinen Weg
mit Vernunft!“). Und den gleichen, ernsten, morali-
sierenden Zug künden in Schwetzingen die 23 Sitten-
sprüche aus dem Koran, die außen und innen an
der 1784 vollendeten Moschee sich befinden („In
den Sommertagen sei der Ameise gleich“, „Reden
ist Silber, Schweigen ist Gold“, „Fliehe die Faulheit,
sie bringt Schaden“ usw.). Und wie anders als
der frivole Ludwigsberger Friedhof ist es, wenn bei
der Anlage des Wörlitzer Parkes der um die alte
Kirche gelegene Friedhof verschwinden muß, aber
auf einer kleinen Anhöhe 1773 ein großer Sarkophag
aufgestellt wird ,,angefüllt mit Überbleibseln der
Gebeine vor uns Gestorbener, die uns zu unseren
Wohnungen Platz einräumten, wie wir Anderen
wieder Platz machen werden“, wie die Inschrift
besagt. —
Auch die Vorliebe für Chinesisches, überhaupt
Asiatisches ist nicht mehr spielerisch, sie entspringt
dem ernsten Drange, von jenen fernen Ländern zu
wissen, mit ihrer Kultur vertraut zu sein (Cooks
und Forsters Weltreisen!), wie ja in der Tat durch
wirkliche Anschauung von China (Chambers!) das
Chinesische in die englische Gartenkunst und da-
mit auch Deutschlands gekommen ist. Die Gotik,
die bald zu einem der wichtigsten Bestandteile der
Romantik wurde, ist zwar — das war der Romantik
ja nicht anders möglich — stark mit dem Herzen
empfunden worden, aber doch nicht minder mit dem
Verstände, mit dem Wissen von ihrer Bedeutung in
der Vergangenheit. Herzog Franz von Anhalt-
Dessau, der Schöpfer des Wörlitzer Parkes, hat
einmal ausdrücklich betont „ich aber halte es mit
Erwin von Steinbach und den Goten“. — Überall
also Ernst, Ruhe, Sachlichkeit trotz aller Sehnsucht,
aller Sentimentalität, trotz aller Empfindsamkeit.
Wie hat es zu dieser bedeutsamen Wandlung
kommen können, was hat aus der Rokokoromantik
die Romantik um 1800 geschaffen? Hier hat der
Klassizismus gewirkt, er ist die Veranlassung für
jene Änderung geworden. Bedenken wir doch, was
es hieß, als man- 1738, bezw. 1748 in Herculanum
und Pompeji die ersten Ausgrabungen machte, als
die Antike, von der man trotz allem letzten Endes
doch nur wenig wußte, nun aus der Lava zum
Lichte neu emporstieg! Wir können uns heute
kaum noch eine Vorstellung davon machen, was
das damals bedeutete, als in die Welt des ewig
lachenden, ewig tändelnden, ewig lustigen Rokoko
ein Hauch der bei all ihrer freudigen Lebens-
bejahung gemessenen Antike, der Gräberstädte
drang. Empfindsam, überaus empfindsam war ja
trotz aller Frivolität, aller letzten Endes künstlichen
Lustigkeit die Rokokowelt, wie ganz anders mußte
sie von jener neuwiederkehrenden Antike ergriffen
werden, als wir Menschen des 20. Jahrhunderts,
wenn zu uns die Kunde von neuen Ausgrabungen
dringt! Wie ein gewaltiges „memento mori!“ drang
der Klassizismus in die Welt des Rokoko ein, alles
Tändeln, alles Scherzen, alle leichte Grazie schwand
und ernste Gemessenheit, ernstes Sinnen, ernste
Würde trat an seine Stelle. Nicht war auf einmal
alles Rokoko erstorben, nein, nur langsam wich es;
im Louis XVI schloß es mit dem Neuen noch ein
Kompromiß, um dann langsam, aber stetig zurück-
zubleiben; die „edle Einfalt und stille Größe“, die
ruhige Linie behielt die Oberhand.
Ganz gewiß ist der Einfluß Rousseaus auf die
gesamte Kultur und damit auch die Kunst der Zeit
von höchster Bedeutung, aber sein Ruf „zurück zur
Natur!“ hat doch zunächst eine mehr spielerische
Beachtung gefunden; man kehrte zur „Natur“ zurück,
aber indem man sich als Bauersleute kostümierte
und — wie Marie Antoinette — die Kühe melkte.
Zunächst alles nur ein Spiel, eine neue willkommene
Abwechslung im Rahmen der üblichen Vergnügungen.
Denn was war es anders als Spielerei, wenn man
zwar Obst und Milch genoß, aber aus goldenen
Schüsseln, wenn Marie Antoinette selbst gemolkene
Milch eigenhändig ihren Gästen in Petit Trianon
reichte, aber in Tassen aus feinsten Rosa-Sevres-
Porzellan und in der Form ihrem „eigenen schönen
Busen nachgebildet“2), wenn man die Laternen mit
Getreidehalmen schmückte, wenn der junge Karl
August von Weimar seine Gäste einmal in das
Borkenhäuschen ladet und von Mönchen empfangen
läßt, dann aber die Bretterwand des Hintergrundes
fällt und eine prunkvolle Tafel sichtbar wird? Das
alles ist letzten Endes Rokoko, aber nicht die Ro-
mantik, mit der wir uns hier befassen, die Romantik
der Zeit um 1800. Dieser erst war es bitterer
Ernst um die Einsiedeleien, die Grabmäler, dre
Naturliebe. Der Einfluß des ernsten Klassizismus
auf diese Epoche der Romantik um 1800 muß er-
faßt werden. Damals erst wird Rousseaus Lehre
aus einer Modesache zum Evangelium, damals erst
wird Rousseau wahrhaft verstanden. Damals, nach
Rousseaus Tode (1778), errichtete der Herzog Franz
von Anhalt-Dessau im Wörlitzer Parke ihm ein
Denkmal mit folgender Inschrift: „Dem Andenken
J. J. Rousseaus, Bürgers zu Genf, der die Witzlinge
zum gesunden Verstände, die Wollüstlinge zum
wahren Genüsse, die irrende Kunst zur Einfalt der
Natur, die Zweifler zum Trost der Offenbarung mit
männlicher Beredsamkeit zurückwies. Er starb den
III. Jul. MDCCLXXVIH“. Das ist wahres Verstehen
der Gedanken Rousseaus, nicht das Spielen mit
ihnen am Hofe der Marie Antoinette. —
Wie aber soll die Gotik, die doch ganz wesent-
lich der Romantik um 1800 das Gepräge gibt, wie
soll sie mit dem Klassizismus unter einen gemein-
samen Gedanken gebracht werden? Gotik und
Klassizismus sind unüberbrückbare Gegensätze an
sich, und doch sind beide in der Zeit um 1800
letzten Endes eins. Der Gotik von damals
fehlt das Eine, was das Große und Wunderbare an
der mittelalterlichen, der wahren Gotik war, es fehlt
die Höhentendenz, die Schlankheit der Formen, das
wunderbare Auflösen der Wände und damit das
Unruhige, das der mittelalterlichen Gotik den un-
leugbaren malerischen Reiz verlieh. Die Gotik um
1800 ist mehr auf Massen-, als auf Gliederwirkung
2) A. von Gleichen-Rußwurm: „Das galante Europa . . . .“,
Stuttgart, S. 395.