müssen sie für alle Lebensgebiete fordern. Eins kann
nicht ohne das andere sein. Denn alle wahre, aus
dem Leben geborene und Kultur bedeutende Form
setzt den ganzen Menschen voraus; setzt an Stelle des
Spezialisten den künstlerisch verallgemeinerten Men-
schen.
Das alles wird erst sein, wenn die Kunst in ihren
Grundlagen wieder eine das ganze Leben formende
Kraft ist und nicht eine Sache der Gemäldeausstel-
lungen. Es ist Zeit, daß wir uns von der Führerschaft
einer Malerei frei machen, die abseits vom Leben
stehend und in Programmen und Manifesten herum-
irrend, selbst zu sehr Schatten ist, um ins Licht zu
führen. Kunst, in ihrer allgemeinen Bedeutung kennt
keine Stufen und Klassen, ist nicht allein Angelegen-
heit dieser oder jener Berufe, wie sie auch keine Spe-
zialisten zur Voraussetzung hat. Sie ist der Lebens-
ausdruck des allseitig entwickelten Menschen. Sie ist
der Mensch, der sich über alles sinnlich Wahrnehm-
bare hinweg mit seinem Inneren dem Wesen aller
Dinge so eins fühlt, daß nur eine reiche Formenwelt
Ausdruck der Fülle seines inneren Erlebens kein kann.
Erst wenn der Mensch allgemein diese Beziehungen ge-
funden hat, wird Kunst sein. Er kann in einem Beruf
stehen, in welchem er will, er wird die idealen Aus-
strahlungen des Lebens nur in sein Werk bannen und
die ihm zufallenden Aufgaben nur ganz lösen kön-
nen, wenn er das Leben zuerst in seiner inneren Ver-
bundenheit mit dem Ungegenständlichen der Natur
und somit in seiner Ganzheit lebt.
Dann ist des Menschen Werk der ganze Mensch.
Der Weg einer neuen Gartenkunst
Auf Wunsch der Schriftleitung versuche ich in Fol-
gendem meine gelegentlich einer Aussprache bei der
diesjährigen Tagung der „Deutschen Gesellschaft für
Gartenkunst“ (im Anschluß an den Vortrag J. Leibigs)
gemachten Ausführungen niederzuschreiben:
Seit 2 Jahrzehnten haben die bildenden Künste mit
der Gewohnheit des Abbildens gebrochen und von
innen heraus wirkenden Notwendigkeiten zum Aus-
druck verholten. Diese Erscheinung drückte sich da-
rin aus, daß man nicht Wiedergaben von Vorbildern
oder Naturvorgängen zu sehen bekam, welche inhalts-
mäßig zu verstehen waren, sondern daß plötzlich
Schöpfungen entstanden, die auf diese Weise unver-
ständlich blieben. Sie beruhten zunächst auf einer Be-
tonung des subjektiven Momentes, dessen Ausdruck
als wichtigster Anlaß des Kunstschaffens empfunden
wurde. Die Kritik schuf für diese neue Kunst damals
im Gegensatz zu dem eine unbedingte Wiedergabe der
Natureindrücke gebenden Impressionismus den Fach-
ausdruck „Expressionismus“. Diese Art von Bezeich-
nung unterschied dann auch regelrecht — immer nur
nach äußeren Merkmalen — den „Futurismus“, den
„Kubismus“, dann pünktlich mit dem Auftauchen
anderer Kennzeichen den „Konstruktivismus“ und
andere „ismen“. Selbst der Dadaismus, der überhaupt
keine Kunstrichtung, sondern eine allgemeine politisch-
ethische Aktion war, wurde auf diese Weise als eine
neue Kunstrichtung mißverständlich bezeichnet.
Es hat für die Erkenntnis gar keinen Zweck, in dieser
Weise leitfadenmäßig Erscheinungen der Kunstent-
wicklung mit Namen zu belegen und damit nur für
eine snobistische Intelligenz Bildungsmaterial zu kon-
struieren. Die inneren Zusammenhänge sind wesent-
lich einfacher und führen zu produktiverer Klärung.
Indem die bildenden Künste eigene Ausdrucksformen
suchten, bewiesen sie eine Gesinnung der schaffenden
Generation auf die Grundfragen ihrer Existenz. Schaf-
fen bedeutet: seine Welt zu bilden, aus seinen eigenen
Notwendigkeiten heraus den Antrieb zum Gestalten
zu haben und mit den ureigenen Mitteln seiner Kunst
die ihr gemäße Form zu finden. Daher sehen wir all
die literarischen Motive verschwinden, deren Illustra-
tion zuvor die bildenden Künste beschäftigte. Wir
sehen aber auch die Rücksichten auf äußere Dinge
aufhören, etwa auf bestimmte Motive, die dem Ge-
schmack des kaufenden Publikums schmeichelten, so-
daß die Kunst sich dadurch zu einer der Mode unter-
worfenen Amüsierindustrie erniedrigte. Wir sehen
überhaupt alles verschwinden, was mit dem eigent-
lichen künstlerischen Produktionsvorgange nichts zu
tun hat, vor allem aber auch die Herrschaft des Zu-
falls, sowohl bei der Wahl des Stoffes wie in der werk-
lichen Arbeit.
Immer mehr erstarkt mit dem Verantwortungsbewußt-
sein der Sinn für das Wesentliche, Gemeingiltige, und
damit vergeht sichtlich immer mehr die Betonung des
Individuums. Für die bildende Kunst dieser Tage be-
zeichnend ist ein Zug zum Ueberindividuellen. Der
Einzelne betrachtet sich als eingeordnet in die Allge-
meinheit. Ein Kollektivbewußtsein kündigt sich an
und damit die Möglichkeit einer neueren Kultur. Denn
wenn man überhaupt aus der Geschichte der Kunst
etwas anderes zu lernen weiß als Namen und Zahlen,
so ist es dies, daß große Kunst immer nur aus einem
sicheren Kulturbewußtsein gekommen ist. Und darum
ist die Kunst keine private Luxusangelegenheit, son-
dern eine Sache von größter Bedeutung für das ganze
Volk und seine Zeit.
Aus dem bisher Gesagten erklärt es sich auch, daß
wir heute eine neue Epoche der Baukunst sich ent-
wickeln sehen. Erst im Bau offenbart es sich, ob in
einer Zeit überhaupt positive, Werte ruhen. Die letzte
Vergangenheit hat durch negative Ergebnisse den Be-
weis erbracht, daß sie deren ermangelte. Sie be-
herrschte wohl die gelehrte Wissenschaft der Bau-
formen aller Zeiten und benützte sie nach äußerlich
ästhetischen Regeln. Aber sie erfaßte nicht Aufgaben,
Ideen und tektonische Möglichkeiten. Die neue Bau-
kunst, obwohl von Reich, Ländern und Gemeinden
(mit alleiniger Ausnahme Hollands und Rußlands)
102
nicht ohne das andere sein. Denn alle wahre, aus
dem Leben geborene und Kultur bedeutende Form
setzt den ganzen Menschen voraus; setzt an Stelle des
Spezialisten den künstlerisch verallgemeinerten Men-
schen.
Das alles wird erst sein, wenn die Kunst in ihren
Grundlagen wieder eine das ganze Leben formende
Kraft ist und nicht eine Sache der Gemäldeausstel-
lungen. Es ist Zeit, daß wir uns von der Führerschaft
einer Malerei frei machen, die abseits vom Leben
stehend und in Programmen und Manifesten herum-
irrend, selbst zu sehr Schatten ist, um ins Licht zu
führen. Kunst, in ihrer allgemeinen Bedeutung kennt
keine Stufen und Klassen, ist nicht allein Angelegen-
heit dieser oder jener Berufe, wie sie auch keine Spe-
zialisten zur Voraussetzung hat. Sie ist der Lebens-
ausdruck des allseitig entwickelten Menschen. Sie ist
der Mensch, der sich über alles sinnlich Wahrnehm-
bare hinweg mit seinem Inneren dem Wesen aller
Dinge so eins fühlt, daß nur eine reiche Formenwelt
Ausdruck der Fülle seines inneren Erlebens kein kann.
Erst wenn der Mensch allgemein diese Beziehungen ge-
funden hat, wird Kunst sein. Er kann in einem Beruf
stehen, in welchem er will, er wird die idealen Aus-
strahlungen des Lebens nur in sein Werk bannen und
die ihm zufallenden Aufgaben nur ganz lösen kön-
nen, wenn er das Leben zuerst in seiner inneren Ver-
bundenheit mit dem Ungegenständlichen der Natur
und somit in seiner Ganzheit lebt.
Dann ist des Menschen Werk der ganze Mensch.
Der Weg einer neuen Gartenkunst
Auf Wunsch der Schriftleitung versuche ich in Fol-
gendem meine gelegentlich einer Aussprache bei der
diesjährigen Tagung der „Deutschen Gesellschaft für
Gartenkunst“ (im Anschluß an den Vortrag J. Leibigs)
gemachten Ausführungen niederzuschreiben:
Seit 2 Jahrzehnten haben die bildenden Künste mit
der Gewohnheit des Abbildens gebrochen und von
innen heraus wirkenden Notwendigkeiten zum Aus-
druck verholten. Diese Erscheinung drückte sich da-
rin aus, daß man nicht Wiedergaben von Vorbildern
oder Naturvorgängen zu sehen bekam, welche inhalts-
mäßig zu verstehen waren, sondern daß plötzlich
Schöpfungen entstanden, die auf diese Weise unver-
ständlich blieben. Sie beruhten zunächst auf einer Be-
tonung des subjektiven Momentes, dessen Ausdruck
als wichtigster Anlaß des Kunstschaffens empfunden
wurde. Die Kritik schuf für diese neue Kunst damals
im Gegensatz zu dem eine unbedingte Wiedergabe der
Natureindrücke gebenden Impressionismus den Fach-
ausdruck „Expressionismus“. Diese Art von Bezeich-
nung unterschied dann auch regelrecht — immer nur
nach äußeren Merkmalen — den „Futurismus“, den
„Kubismus“, dann pünktlich mit dem Auftauchen
anderer Kennzeichen den „Konstruktivismus“ und
andere „ismen“. Selbst der Dadaismus, der überhaupt
keine Kunstrichtung, sondern eine allgemeine politisch-
ethische Aktion war, wurde auf diese Weise als eine
neue Kunstrichtung mißverständlich bezeichnet.
Es hat für die Erkenntnis gar keinen Zweck, in dieser
Weise leitfadenmäßig Erscheinungen der Kunstent-
wicklung mit Namen zu belegen und damit nur für
eine snobistische Intelligenz Bildungsmaterial zu kon-
struieren. Die inneren Zusammenhänge sind wesent-
lich einfacher und führen zu produktiverer Klärung.
Indem die bildenden Künste eigene Ausdrucksformen
suchten, bewiesen sie eine Gesinnung der schaffenden
Generation auf die Grundfragen ihrer Existenz. Schaf-
fen bedeutet: seine Welt zu bilden, aus seinen eigenen
Notwendigkeiten heraus den Antrieb zum Gestalten
zu haben und mit den ureigenen Mitteln seiner Kunst
die ihr gemäße Form zu finden. Daher sehen wir all
die literarischen Motive verschwinden, deren Illustra-
tion zuvor die bildenden Künste beschäftigte. Wir
sehen aber auch die Rücksichten auf äußere Dinge
aufhören, etwa auf bestimmte Motive, die dem Ge-
schmack des kaufenden Publikums schmeichelten, so-
daß die Kunst sich dadurch zu einer der Mode unter-
worfenen Amüsierindustrie erniedrigte. Wir sehen
überhaupt alles verschwinden, was mit dem eigent-
lichen künstlerischen Produktionsvorgange nichts zu
tun hat, vor allem aber auch die Herrschaft des Zu-
falls, sowohl bei der Wahl des Stoffes wie in der werk-
lichen Arbeit.
Immer mehr erstarkt mit dem Verantwortungsbewußt-
sein der Sinn für das Wesentliche, Gemeingiltige, und
damit vergeht sichtlich immer mehr die Betonung des
Individuums. Für die bildende Kunst dieser Tage be-
zeichnend ist ein Zug zum Ueberindividuellen. Der
Einzelne betrachtet sich als eingeordnet in die Allge-
meinheit. Ein Kollektivbewußtsein kündigt sich an
und damit die Möglichkeit einer neueren Kultur. Denn
wenn man überhaupt aus der Geschichte der Kunst
etwas anderes zu lernen weiß als Namen und Zahlen,
so ist es dies, daß große Kunst immer nur aus einem
sicheren Kulturbewußtsein gekommen ist. Und darum
ist die Kunst keine private Luxusangelegenheit, son-
dern eine Sache von größter Bedeutung für das ganze
Volk und seine Zeit.
Aus dem bisher Gesagten erklärt es sich auch, daß
wir heute eine neue Epoche der Baukunst sich ent-
wickeln sehen. Erst im Bau offenbart es sich, ob in
einer Zeit überhaupt positive, Werte ruhen. Die letzte
Vergangenheit hat durch negative Ergebnisse den Be-
weis erbracht, daß sie deren ermangelte. Sie be-
herrschte wohl die gelehrte Wissenschaft der Bau-
formen aller Zeiten und benützte sie nach äußerlich
ästhetischen Regeln. Aber sie erfaßte nicht Aufgaben,
Ideen und tektonische Möglichkeiten. Die neue Bau-
kunst, obwohl von Reich, Ländern und Gemeinden
(mit alleiniger Ausnahme Hollands und Rußlands)
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