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Die Gartenkunst — 36-37.1923/​1924

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Schneider, Ernst: Das pr. Gesetz betr. Erhaltung des Baumbestandes in der Umgebung von Großstädten pp. seine Vorzüge und Mängel
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https://doi.org/10.11588/diglit.58970#0072

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schon Kirchengemeinden bei ihren Geldnöten be-
gonnen, prachtvolle Baumbestände auf den Fried-
höfen abzuholzen. Durch die Presse, verschärfte
Kontrolle der Polizei (auch seitens der Gartenver-
waltung) wurden die Baumbesitzer auf die Not-
wendigkeit zur Einholung der Genehmigung ver-
wiesen, bevor sie weitere Holzungen Vornahmen.
Der Regierungspräsident machte seine Genehmigung
von dem Gutachten des städtischen Gartendirektors
abhängig, und dieser konnte durch Beratung bei
Auslichtungen den Interessen der Eigentümer dienen
und doch den Bestand der Grünfläche sichern.
Natürlich soll man dabei nicht kleinlich jeden Baum
erhalten wollen, um so entschiedener aber überall
erwägen, wo der einzelne Baum wirklich als Grün-
schmuck gilt, wo Bäume wichtige Bestandteile be-
stehender oder künftiger Grünflächen bedeuten und
ihren Wert als Erholungsort erhöhen.
Diese vorbeugende Polizeiverordnung ist mit der
endgiltigenFeststellung des Verzeichnisses, spätestens
12 Monate nach dem Inkrafttreten des Gesetzes
(also Ende Juli 1923) aufzuheben.
Nun zum Gesetz selbst! Zu bedauern ist die
enge Begrenzung seines Geltungsbereiches. Es
gilt nur
1. in Großstädten über 100 000 Einwohner, in
kleineren Städten und Landgemeinden nur
dann, wenn sie im Industriebezirk belegen sind;
2. in der Nähe von Großstädten, in der Nähe von
Bade- und Kurorten;
3. in Industriegebieten, wo sich größere industrielle
Anlagen in benachbarten Gemeinden derart
ausdehnen und zusammenschließen, daß sie im
Verhältnis zu den Gemeindegebieten einen er-
heblichen Raum einnehmen und starke An-
siedlung einer Arbeiterbevölkerung hervorrufen.
Die Rücksichtnahme auf die Bevölkerungsmassen
der Großstädte ist zu begrüßen. Wir haben aber
auch viele Städte unter 100 000 Einwohnern, für
deren Bevölkerung (Kleinrentner, Pensionäre u. a.)
Baumbestände und Grünflächen von gleicher Be-
deutung sind, wie für die Arbeiterschaft in den
Industriegebieten. Der Spaziergang und die Freude an
der Natur ist oft noch ihre einzige Erholung. Es gibt
auch kleinere Städte mit starker industriebevölkerung
upd ungenügenden Wohnungsverhältnissen, ohne
daß sie im ausgesprochenen Industriegebiet liegen.
Auch der Schurz der kleinen Wa’dungen vor Raub-
bau müßte noch viel mehr gesichert sein. So haben
im Kreise Neidenburg bäuerliche Besitzer, durch die
hohen Holzpreise verlockt, ihre kleinen Waldungen
mit unter schlagreifem Alter stehendem Bestand
verkauft und den Charakter der ganzen Gegend,
verdorben.
In der Nähe von Großstädten soll der Schutz-
bezirk über 8 km (ab Gemeindegrenze gerechnet)
ausgedehnt werden, wenn innerhalb dieser Zone'
umfangreichere erhaltungswerte Baumbestände nicht
vorhanden sind. Man wird gut tun, den Begriff
„umfangreichere Baumbestände“ recht weit zu
strecken und von der Freiheit, über diese Zone
hinauszugehen, nach Möglichkeit Gebrauch
machen; denn meist werden Wälder und Ausflugs-
orte, die der Erholung der Bevölkerung dienen,
weit außerhalb liegen. Den Schutz der Baum-
bestände innerhalb der Kurorte gesetzlich festzu-
legen, hat man nicht für erforderlich gehalten. Die
Annahme, daß die Hausbesitzer schon von selbst
für die Erhaltung des Baumbestandes sorgen, um

den Kurgästen recht viele Annehb.ilichkeiten zu!
bieten, dürfte sich in vielen Fällen v.icht bestätigen.v
Die Gemeinden werden gut tun ; die freien Ent-|
Schließungen des Provinzialaussc'nusses nicht ab- ■
zuwarten, sondern von sich aus begründete Vor-*?
Schläge und Listen aufzustelir n. Die Provinzial- ,
ausschüsse, meist nach politischen Richtungen
zusammengesetzt, dürften unter ihren Mitgliedern
selten Sachverständige zur Entscheidung über die
Vorschläge haben. Der Provinz.ialausschuß soll
zwar die Vertreter von Handel., Landwirtschaft,
Forst, Industrie usw. höre;t; diese werden als Leid-
tragende aber wohl überwiege nd Gegner der
Zwangsmaßnahmen sein. Ein Hnnweis, daß der
Provinzialausschuß auch Sachberater aus anderen
Kreisen hinzuziehen kann, fehlt. Die Deutsche
Gesellschaft für Gartenkunst müßte unbedingt den
Wohlfahrtsminister darauf aufmerksam machen, daß
es gerade in ihren Reihen berufsmäßige Sachver-
ständige gibt, deren sich die Provinzialausschüsse
zur Begutachtung bedienen sollten.
Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Provinzial-
Ausschusses hat keine aufschiebende Wirkung.
Das ist zu beklagen.. Man denke nur daran, daß
auch Vorschläge der Gemeinden vom Provinzial-
Ausschuß abgelehnt werden können, was diesen
Anlaß zu berechtigtem Einspruch geben dürfte.
Die Aufstellung der Vorschlagslisten der Ge-
meinden wird am besten vom Gartenamt im Ein-
vernehmen mit dem Stadterweiterungsamt geleistet.
Es ist erstaunlich, wie verschiedene Leute an
manchen Orten damit betraut sind, Landmesser,
Kreisbaumeister, Forstleute, sogar verschiedene
Stellen im gleichen Ort. Auch die freischaffenden
Gartenarchitekten sollten dieser Frage ihre Aufmerk-
samkeit schenken.
Bei Aufstellung der Listen sollte man nicht nur
an der Bevölkerung bereits zugängliche Parks, vor-
handene Waldfläche.n, alte Baumalleen, Pro-
menaden u. a. denken,, sondern auch an die Erhaltung
von Privatgärten, di.e den Umwohnern den Blick
ins Grün ermöglichen, besonders auch einzelner
Bäume, die für das Stadtbild von Bedeutung sind.
Das Gesetz kennt zwar nicht den Schönheits-
wert des einzelnen Baumes, sondern nur seinen
Wert für die Gesundheit der Bevölkerung. In der
Praxis dürfte sich das aber meist decken. Der Beweis,
daß das Vorhandensein eines schönen Baumes im
Straßenbild' oder in der Landschaft Freude erweckt,
durch seinen Schatten der Erholung und Förderung der
Gesundheit dient, dürfte leicht zu erbringen sein. Eine
Handhabe bietet die Ausführungsanweisung, wo
es heißt „Die Schaffung einer hinterhausfreien
Randbebauung mit großen zusammenhängenden ein
Ganzes bildenden Innenhöfe.n und Gärten ist ein
g erstrebenswertes Ziel bei Neuaufschließung städti-
schen Geländes. Dort wo eine solche Bauweise in
den alten Stadtgebieten noch vorhanden ist, sollte
es vornehmste Aufgabe der Städte sein, sich die
vorhandenen Luftbehälter, insbesondere, wenn sie
mit schönen, alten Bäumen bepflanzt sind, zu er-
halten.“
Die Aufgabe eines Gartenbeamten daif sich nach
Erlaß dieses Gesetzes noch weniger wie früher in
der Erhaltung bestehender Anlagen und in der Aus-
gestaltung von Grünflächen, die bereits fest um-
rissen im Bebauungsplan vorgesehen sind, er-
schöpfen,, sondern se'czt seine vorausschauende
Mitarbeit bei Aufstellung der Bebauungspläne voraus.
 
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