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Gegenbaur, Carl
Lehrbuch der Anatomie des Menschen — Leipzig, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.15029#0086

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neuen Veränderungen. Es entstehen Anpassungen des Körpers an mannigfache
auf ihn wirkende Einflüsse. Minimale Wirkungen summiren sich bei längerer
Dauer und kommen schließlich mit bedeutendem Gewichte zur Geltung. Es ist
die volle, den Organen gewordene Function, unter deren Einfluss die weitere Aus-
bildung sich anbahnt und vollendet.

IT. Bedeutung der Entwickelung.

§ 37.

Die bei der Entwickelung des Organismus sich kundgebenden Vorgänge sind
auf Processe zurückführbar, welche sich an den Formelementen abspielen. Es
sind Wachsthums- und Vermehrungsvorgänge an den Zellen, die den embryo-
nalen Organismus jeweilig zusammensetzen, und Differenzirungsprocesse, die an
jenen Zellcomplexen durch eine Veränderung an deren Formelementen, durch
Verschiebungen. Lageveränderungen, Trennungen der Continuität sich äußern.
Die daraus entstehenden Gebilde, zuerst die Keimblätter, dann die aus diesen
sich sondernden Anlagen der Organe, erscheinen den späteren Einrichtungen
völlig fremdartig. Erst nach und nach treten die definitiven Verhältnisse, gleich-
sam wie in Umrissen, hervor und nähern sich langsam ihrer Ausgestaltung. Die
großartige Verschiedenheit frühester und späterer Zustände findet so einen Aus-
gleich. Die hiezu führenden Veränderungen treten anfänglich intensiver auf.
Innerhalb einer kürzeren Frist erscheinen bedeutendere Umgestaltungen in den
früheren Stadien, als später innerhalb eines längeren Zeitraumes, und dieses Ver-
hältnis währt durch die ganze Entwickelung. Die ersten vier Wochen leisten
Größeres als später eben so viele Monate. Während der ersten Entwickelungs-
perioden legen sich vorher nicht vorhandene neue Theile an, in den folgenden
Perioden erfolgt deren Ausbildung. Erstere umfassen daher wesentlich Differen-
zirangen qualitativer Art, letztere dagegen Vorgänge der Volumvermehrung,
quantitative Differenzirangen.

Die Gleichartigkeit der Entwickelung der Individuen einer und derselben
Art oder Gattung und die Beständigkeit der Folge der einzelnen Stadien er-
scheinen als etwas Gesetzmäßiges. Da von außen her wirksame gestaltende Im-
pulse absolut ausgeschlossen sind, muss das die Entwickelung leitende Princip im
sich entwickelnden Organismus liegen. Man kann dasselbe im Endziele suchen,
welches durch die Entwickelung angestrebt wird, aber dabei bleibt vor Allem der
Weg, den die Entwickelung durchläuft, eben so dunkel wie vorher. In anderer
Weise erscheint uns dieser, sobald wir die Entwickelung des Organismus als eine
ihm durch Vererbimg übertragene Eigenschaft ansehen. Wir nehmen keinen
Anstand in der Annahme der Vererbung körperlicher wie geistiger Eigenschaften.
Wenn das Besondere der Organisation so beurtheilt werden kann, so kommt das
dem Allgemeinen derselben mit noch viel größerem Rechte zu. Die Vererbung
leitet uns also zu einem früheren Zustande. Der Organismus entwickelt sich auf
 
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