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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0027
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tont, das Voluminöse und kantig Klare seiner Erschei-
nung zum Ausdruck gebracht. Die Häuser entbehren
hier der hohen Dachsilhouetten, da sie eine einzelne,
abtrennbare Schaufläche nicht kennen. Aus der leb-
haften Variation der Motive, aus dem Rhythmus be-
wegter Kontrastierung, aus der Durchsetzung des Bau-
körpers mit plastisch starken Akzenten (polygonale und
runde Eckbauten und Erker) ersieht man, wie viel leb-
hafter hier das Blut pulst, die Phantasie schafft. In
den Straßenzügen läßt sich in Süddeutschland be-
obachten, wie statt der gleichmäßig ruhigen Mauer-
wand in der Küstenzone hier die Häuser sich aus der
Reihe vorschieben und in einen lebhafteren, plastischen
Kontrast gesetzt sind. Eine Stadtansicht, wie die von
Wasserburg am Inn, zeigt, wie die Häuser hier Kristall
um Kristall aneinandergewürfelt sind (Abb. 7). In den
beiden nördlicheren optischen Zonen ist solches Gestal-
ten in Kuben undenkbar. Wie nun jede Form anderen
Geist atmet, kann ein Vergleich zweier Profanbauten
mit dem gleichen Motiv einer offenen Galerie über einer
Arkadenreihe zeigen. Bei der Burg in Binsfeld am Nieder-
rhein (1533) bleiben alle Formen still und treten nicht
aus der Fläche heraus (Abb. 10). Über Pilastern folgen
bandartige Archivolten, und der Schmuckfries ist als
teppicbartiger Streifen quer vor die Fläche gehängt.
Beim Kornmesserhaus in Bruck an der Mur (um 1500)
dagegen springen über stämmigen Säulen die Kielbogen
auf als saftig breites, markig durchgearbeitetes Joch
Abb. 11). Diese Bogenfolge ist Zeugnis eines starken
Volumengefühls, das alle Formen ergreift, auch die auf-
bäumenden Blätter der Kapitäle mit plastischer Kraft
erfüllt, die sie in größtem Gegensatz zu den gleichmäßig
hängenden Zackenlilien in Binsfeld stellt.
Wenn in der optischen Zone der Tiefebene an der
Küste die stillragenden Flächen der Hausfronten charak-
teristisch sind (Abb. 12), in die nirgends der Raum

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