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Gerstenberg, Kurt
Ideen zu einer Kunstgeographie Europas — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 48/​49: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61188#0029
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gelten: Beide Bauten bedürften der unmittelbaren Nähe
des spiegelnden Wassers, um ihren glitzernden Formen-
reichtum recht zu entfalten. Reine Proportionskunst
findet sich selten in diesen Gebieten, die Neigung geht
mehr auf kleinteiliges Allzuviel.
Die optische Grundlage bleibt für die Baukunst der
lombardischen Ebene überall bestimmend, aber in allem
gesteigert und am schärfsten ausgeprägt findet sich ihr
Charakter in Venedig. Nur die Nachbarschaft des Wassers
erlaubt und erklärt die Asymmetrie, die im Aufbau be-
vorzugt wird. Denn reine Symmetrie ergibt den Cha-
rakter bewegungsloser Ruhe, aber gerade dem soll ent-
gegengearbeitet werden, und die Asymmetrie enthält
denn auch eine ruhelose Bewegtheit der ungleichen Teile,
die hier erwünscht ist.
Es hat nun nichts Auffälliges und Merkwürdiges
mehr, sondern bestätigt nur die gemeinsame optische
Grundanschauung, wenn sich im 13. Jahrhundert die
romanischen Backsteinkirchen Norddeutschlands, vor-
nehmlich der Mark Brandenburg an der lombardischen
Backsteinromanik läutern, und wenn sich etwa im
16. Jahrhundert westfälisch - hannoversche Schlösser,
z. B. in Stadthagen (Abb. 16), oder andere Bauten der
Weserrenaissance und dänische Schlösser, z. B. Hesse-
lagergaard (Abb. 15), aus dem Formenvorrat der ita-
lienischen Renaissance gerade solche Motive suchen,
die in Venedig zu Hause sind, wie die Folgen halb-
runder Abschlüsse an Giebelrändern und Dachseiten,
die sich von der Scuola di S. Marco herleiten (Abb. 14).
Vielmehr bestätigt dies nur die Anschauung, daß hier
eine gleiche Grunddisposition die innerliche Gemäßheit
solcher Motive spürte und sie daher bereitwillig auf-
nahm. Vergleicht man Baugruppen miteinander, so
wird sich ebenfalls erweisen, daß örtlich weit getrennte
und kulturell verschieden bedingte Anlagen sich doch
auffallend nahe berühren, wenn sie unter gleichen opti-
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