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Geymüller, Heinrich von; Geymüller, Heinrich von [Contr.]
Die Baukunst der Renaissance in Frankreich (Heft 2): Struktive und ästhetische Stilrichtungen, Kirchliche Baukunst — Stuttgart: Bergsträsser, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.67518#0195
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geführt wurde. Der rechte, aber nur aus dem Rauhen bossirte Thurm ist bis auf
den helmartigen Aussatz, der fortblieb, der 1749 von Maclaurin ausgeführte. Der
linke Thurm ist nach dem Entwürfe von Chalgrin umgebaut worden 1086). Das
erste Thurmgeschoss wiederholt in korinthischer Ordnung genau das jonische und
hat einen Spitzgiebel über der ganzen Front. Darauf folgt das letzte Geschoss als
korinthischer Rundbau mit vier Rundbogenfenstern, durch je zwei 3/4-Säulen getrennt.
Sitzende Statuen vermitteln den Uebergang vom Quadrat- zum Rundbau, und eine
Balustrade schliesst den Bau ab.
Wie bereits erwähnt wurde (siehe Art. 439, S. 327), nimmt man an, es habe
mit dieser Fagade Servandony den Kampf der strengen Richtung gegen die Aus-
gelassenheiten des Louis XV.- Stils begonnen. In dieser Front ist in der That der
ernste, strenge, ja sogar grossartige Charakter des Monumentalen in höherem Grade
ausgesprochen, als es an den meisten ähnlichen französischen Bauten der Fall ist.
Von der bedeutenden Wirkung des Massstabs der Säulen an diesem Gebäude und deren Verwandt-
schaft mit Salomon de Broffe war bereits Art. 403 und 408, S. 296 und 299 die Rede. An den Thürmen
treten sie als Halbsäulen, in den Loggien unten als cannelirte und nicht, wie in der Figur, als glatte
Säulen auf. Unten sind sie der Tiefe nach gekuppelt, oben slehen sie vor Arcaden.
Die Fagade von St.-Sulpice ist eine der echtesten Renaissancefagaden, wenn
man dieses Wort als Bündniss des Gothischen und der antiken Kunst ausfasst; denn
an wenigen ist es wie hier gelungen, die verticalen und horizontalen Ideale, die
Thürme und die Säulenhallen, trotz der Mängel der Thürme, in schöner, harmonischer,
idealer Grossartigkeit zu vereinen.
Um diese Fagade ganz zu würdigen, muss man bedenken, dass sie ursprünglich , statt an einem
Platze, in einer nicht sehr breiten Strasse sland und nur unter starker Verkürzung zu sehen war. Die glatte
Fläche zwischen dem Gesims der unteren Halle und den Piedestalen der oberen, die in Wirklichkeit höher
ist, als unsere Figur angiebt, wurde durch den Vorsprung des dorischen Gesimses ganz verdeckt und die
jonische Halle dadurch besser sichtbar. Letztere erscheint perspectivisch wie eine zweite Säulenhalle,
da die Arcaden über die innere Reihe der nach der Tiefe zu gekuppelten Säulen zurückliegen. Letztere
Anordnung trägt sehr dazu bei, der Fagade ein prächtiges monumentales Relief und malerische Tiefe zu
verleihen.
Diese Fagade, wie auch die von 5. Paolo in Mailand, beweist, dass Architekten, die zugleich Maler
sind, oft glücklichere Werke schaffen können als solche, die vor Allem ihre Aufmerksamkeit mit Vorliebe
auf die »technische« Behandlung des »Materials« richten. Ihr künstlerischer Horizont ist ein weiterer. Wir
lassen uns den monumentalen architektonischen Genuss, den sie gewährt, durch das einseitige Spötteln
gewisser rationalistischer Gothiker um kein Haar breit schmälern, wenn sie diese obere ideale Halle unter
dem Vorwande tadeln, dass sie eine Loggia für den päpstlichen Segen in Rom zu sein scheine, daher
ganz unnütz und verdammenswerth sei. Darf man sie fragen, wozu denn die Arcatur mit den Statuen
der Könige Juda’s an der Fagade von Notre-Dame in Paris angebracht sei, oder warum denn an den
herrlichen französischen Kathedralen, da wo ein Glockenthurm genügt hätte, zwei, drei, fünf oder sieben
holze Thürme zum Himmel emporsteigen als Zeichen des ewigen Bedürfnisses der Menschenseele, ihren
Idealen Ausdruck zu verleihen?
Die Fagade eines Cultusgebäudes bedarf, sobald die Kunst überhaupt an dessen
Herstellung (ich betheiligt, einiger Elemente, die gar keine »praktische« Bestimmung
haben, sondern allein die Gedanken zum »LTeberpraktischen« und Ewigen empor-
heben und nur dadurch trösten und erquicken. Es ist eine grosse Ehre für das Paris
des XVIII. Jahrhunderts, dass es einem Architekten die Möglichkeit gab, dieses Werk
zu schaffen.
10S6) pa die Zeichnung der Thürme Servandony'1 s der Baubehörde nicht gefiel, wurden diese nach einem neuen Ent-
würfe Maclaurin s 1749 errichtet. Aber auch diese missfielen und 1777 wurde Chalgrin mit der Errichtung neuer Thürme
beauftragt. Der Nordthurm allein wurde ausgeführt und der rechte Thurm Maclaurin'1 s ist bis auf heute slehen geblieben.
(Lance, A. Diciionnaire etc.y a. a. O. Artikel über beide Meister.)
 
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