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Geymüller, Heinrich; Geymüller, Heinrich [Editor]; Durm, Josef [Editor]
Heinrich von Geymüllers nachgelassene Schriften (Heft 1): Architektur und Religion. Anh.: Biographische Notiz und Bibliographieder Werke und Aufsätze des Verfassers — Basel, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.43491#0099
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Immerhin wird die Aufgabe dadurch befonders erfchwert,
dafe die hier aufgezähllen Mittel und Ideale nur äußerlt feiten
vielleicht fogar nie in größerer Zahl an einem und demfelben
Denkmale anzufreffen find.
Am Schluffe diefer überficht mufe ich noch auf ein anderes
Vorurteil gegen die Renaiffance auf’s entfchiedenlte Front
machen. Ich meine eine von vielen franzöfifchen und deut-
fchen — und vielleicht noch von anderen nordifchen Gelehrten —
gefeilte Anficht, die von patriotifchen oder chauviniftifchen
Gefühlen irregeleitet, das Eindringen der Renaiffance in ihre
Heimatländer als ein Unglück und als Störung der nationalen
Weiterentwicklung der Kunfi anfehen wollen. Ich verweile
hier auf das an anderer Stelle hierüber Gelagte 0 und er-
wähne nur, dafe die Gotik lediglich deshalb zum nordifchen
einzig daftehenden Wunderfiil geworden ift, weil die nordi-
fchen Völker dermalen ihre ganze Liebe, ihre ganze Sehn-
tacht und alle Eigentümlichkeiten ihres Charakters in diefer
Architektur verkörpert hatten, dafe der äfthetifche Schafe der
gallo-germanirchen Seele dadurch auf unabfehbare Zeiten er-
fchöpft war. Ich halte an meiner Überzeugung feil, dafe die
nordifchen Völker fich felbft überladen, ohne die fremde Ein-
wirkung, in eine gotifche Stagnation hineingerafen wären, aus
der fie, auch nach 2000 Jahren, kein einheimifches Element
herauszuziehen vermocht hätte. Die Gotik hatte ihr Ziel nur
durch Ausfchaltung einer Mitarbeit des lateinirchen Elements
erreicht und hatte fich hierdurch zeitweife in einen Gegenfafe
zur verföhnenden und verbindenden Miffion des Chriflentums
gefleht. Das Gleichgewicht der architektonifchen Seele der


’) Siehe meine Baukunff der Renaiffance in Frankreich, Bd. I, S. 7. 13 und 30.
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