Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Chriftenheit war gebrochen. Man lebte in einer Art von
„Extafe“ in einem idealiflifchen Fieber. Der Menlch aber lebt
nicht von Sehnfucht allein, er verlangt auch nach Antworten,
nach Offenbarungen von Oben. Und hier war eine teilweife
Rückkehr zur Antike, mit ihrem Streben nach einer außerhalb
des Menfchen liegenden Quelle idealer Vollkommenheit, das
einzige Mittel, das neues Leben und eine neue Richtung in
der Kunft hervorzubringen fähig war. Die GeTe^e der chrift-
lichen Weltordnung verlangten nicht, dah die Errungenfchaften
der Gotik verloren gehen tollten. Es galt die Folgen ihrer
Einfeitigkeit zu überwinden, mit Hilfe ihrer Leittungsfähigkeit
neue Fortfchritte zu machen und ein höheres Reich der Kunft
aufzurichien. Und da bedeutete nun die Rückkehr zu einem
in den einft romanifierten Teilen des Nordens längt! ausge-
ftorbenen Stile ein Weltereignis, das nicht richtiger als durch
das Wort Renaitfance hätte bezeichnet werden können.
Sie war teilweife eine Wiedergeburt der antiken Stilformen,
des antiken Geittes mit feinen objektiven Idealen in der Kunft,
als Antwort auf die Übertreibungen des fubjektiven Geiftes
der Gotik.
In Wirklichkeit geftaltete fich die RenaTfance zu einem
Bündnis des Geiftes des Gotifchen mit der antiken Kompofi-
tionsweife und Formenbildung, zu einem Bündnis der Ideale
der Nachkommen der lateinifchen Völker, mit denen der gallo-
germanifchen, aus deren Mifchung die Nationen der modernen
Welt hervorgegangen find.
Man fieht hieraus, wie fehr die RenaifTance ein architek-
ionifches Symbol der politifchen EreignilTe in der Gefchichte
Welteuropas geworden ift. Noch nie war den Architekten
ein folcher Reichtum von Mitteln in die Hände gelegt worden.

76
 
Annotationen