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Die Welt im grossen Ganzen befchästigt sich vorzugsweise gern mit Figuren, die ihr immer
und immer wieder genannt werden, mit solchen, deren erftes Austreten, deren durcbfchlagender
Erfolg etwas Ungewöhnliches bietet. Ist der Geseierte aus kleinen unfeheinbaren Verhältnissen
herausgewachsen, hat er mit glücklichem Wurfe die Anerkennung der Menge fich unterthan
gemacht, so bekommt man den stets wiederholten Resrain zu hören: »Es gibt keine bedeutenden
Erscheinungen mehr, die unbekannt, allein ihren Weg gehen!« — Das ist grundsalsch, wie nur
irgend etwas aus der Welt salsch ist, denn durchsehnittlich kämpften gerade unter den Künftlern
unserer Zeit jene am längften mit Unwissenheit, Albernheit und ähnlichen Eigenfchasten der Menge
die der Welt am meisten zu bieten, freilich nicht von hochberühmter Alltagswaare zu bieten hatten.
Tritt nun aber einer plötzlich aus dem Dunkel hervor, wird er »ein interesfanter Menfch«, so wiegen
lieh die tonangebenden, gesellschastlichen Kreise in dem tresslichen Bewufstsein, wieder einmal zum
so und so ostesten Male, ein Genie richtig erkannt zu haben. »Des arrierc-fonds de cafe, oü
se baptisent les gloires embryonnaires et les grands hommes sans nom« (Goncourt, Manette
Salomon 159) sind in voller Thätigkeit.
Wie aber sleht es mit jenen, von denen, wie in dem eben citirten Buche von Coriolis,
gesagt werden mufs: »II lui manquait les amities, les camaraderies, ce qu'une chaine de relations
organise pour la desense d'un talent«? Gibt es deren nicht genug im Gegenfatze zu Jenen, die
immer und immer wieder in den Vordergrund treten und der Welt verblümt oder unverblümt sagen:
»Ihr könnt Euch sreuen, dafs Ihr mich habt!« — Wie alt mufste ein Böcklin werden, bis die Stunde
fchlug, die ihn vor den Augen der Welt zu dem machte, was er fchon Decennien lang war, wie
alt ein Thoma? Wer spricht später, wenn einmal der Ersolg da ist, von den jahrzehntelangen
Kämpsen und Entbehrungen, die den Weg des Spät-Erkannten begleiteten und nur durch die Krast
einer unerfchütterlichen Ausdauer befiegt werden konnten? Das Endcapitel der Geschichte berühmt
gewordener Leute ist zumeift das weit weniger wichtige, als die Geschichte des Ringenden, des
allen Widerwärtigkeiten eines materiell beengten Lebens Ausgesetzten, der im selsenfeften Glauben
an die Erreichung seines idealen Zieles immer aufrecht ging, auch wenn die Verhältnisse ihn nieder-
zudrücken drohten. Das Aufrechtgehen ohne Anerkennung versteht die Welt zumeift bloss an jenen,
die der öfsentlichen Meinung gegenüber durchgedrungen lind und auch im Glücke keine Concession
machen. Das Unbeugsame, Selbftändige jener aber, denen Fama nicht zur Seite fteht, hat für die
meisten Menfchen, weil sie selbst allzu biegsam find, etwas Zurüekstofsendes. Nur am »grossen
Manne« wird es bewundert, als unerläfsliche Beigabe des Charakters angesehen.
Um gleich eine Probe desfen zu geben, was in dieser Hinsicht von dem Manne, um den es fich
hier handelt, gesagt werden kann, mag ein kurzer Auszug aus einem Briese folgen, den er — Adols
Stabil — Ansang der Siebziger-Jahre an seine Schwester fchrieb. — Damals wurde in Münchener
Künstlerkreisen Geld geradezu haufenweise verdient. Es war die Zeit des gesteigerten materiellen
wenn auch nicht immer reellen Aufschwunges. Rein gar Alles wurde verkaust, was nur irgendwie
acceptabel erschien; das sogenannte »Kitsch-Malen« war im höchsten Flor. Die gegenfeitige Ver-
himmelung der Talentvollen, das fchnelle Berühmtwerden und die Möglichkeit spielenden Eroberns
materieller Errungenschasten brachten einen Zug ins Münchener Künftlerleben, wie er zuvor
nie dagewesen ift und auch nie wiedergekommen ift. Manch einer hat sich da zum wohlhabenden
oder gar zum reichen Manne gemacht, ohne dafs damit die Kunft reicher, vielgcftaltiger geworden
wäre. Stäbli, dem es in jener Zeit notabene nichts weniger als glänzend ging, fchrieb: »C. hat
theilweife Recht, wenn er fagt, dafs die Bilder in München heute besfer bezahlt werden als srüher;
aber was für Bilder! Das weifs er nicht. Ich brauchte mich nur zum Beifpiel in eine Schule, wie
 
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