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gehende Durcharbeitung für solche Mängel. Je mehr dann der Künstler sich in die verschiedenen
Techniken des Kupferstiches einarbeitete, desto reifer entwickelte sich auch die Fähigkeit, in das
Innere der Individualität einzudringen, die verborgenen Fäden der seelischen Eigenart im Bilde
bloßzulegen. Die Porträte seiner Eltern (Schabkunstblätter, 1902) sind von einer Tiefe, ja Größe
des Ausdrucks, von einer Sicherheit des Stilgefühls und einem Reichtum der Tonunterschiede,
daß das Prädikat »meisterhaft« hier nicht zu hoch gegriffen erscheint. An diese Glanzleistungen
schließen sich ein Selbstporträt en face (Schabkunstblatt) und der ausgezeichnete Kopf Max
Pietschmanns als weitere, technisch glänzend behandelte Blätter an.

Ein »Weiblicher Kopf« vor frei-dekorativem landschaftlichen Hintergrund (1902) schlägt die
Brücke zu den Arbeiten, in denen dem poetischen und imaginativen Eigenleben der Individualität
des Künstlers freierer Spielraum gelassen wird. Der Charakter des Bildnisses - des Künstlers
Gattin — wird durch die Eandschaft, eine Flußszenerie mit badenden Frauen, ins Lyrische,
Musikalische erweitert. Im Gegensatz zu einem kühn verkürzten weiblichen Rückenakt auf
weißem Tuch ist in dem Schabkunstblatt »Sitzendes Mädchen am Ufer« (1900) nicht der
Organismus in dem ungewöhnlichen Bewegungsmotiv, sondern der malerische Kontrast des
weichen Fleisches mit dem dunkeln Grund das künstlerisch Leitende. Ähnlichen Problemen, der
Verbindung des nackten Körpers mit einer Landschaft, ist Jahn mehrfach, besonders auch in der
großen Radierung »Pan und Kind« nachgegangen. Auch in der Komposition »Der tote Hirt«
(Rad.-Schabk.) liegt ein solcher Gedanke zu Grunde, während hier noch die eigenartige Beleuch-
tung die Tragik der Szene erhöht. Es darf nicht verschwiegen werden, daß es in manchen dieser
Arbeiten dem Künstler noch nicht ganz gelungen ist, vom Modell loszukommen, daß die Genauig-
keit der Individualisierung sich dem Aufkommen der reinen, wirklichkeitsentrückten Märchen-
stimmung zuweilen hindernd in den Weg stellt. Jahn ist nun einmal in erster Linie Wirklichkeits-
schilderer, Realist, wenn das vielgeschmähte Wort erlaubt ist, und erst darnach und nur
bedingungsweise Phantasiekünstler. Daß er indes, offnen Auges die Welt betrachtend, auch die
Natur in ihrem Reichtum nur gefühlsmäßig faßbarer Einzelerscheinungen sich zu eigen zu machen,
das zauberhafte Weben von Licht und Finsternis im Traumgewand der Atmosphäre nachzudichten,
daß er den gewaltigen Akzenten der Meeresbrandung Widerhall zu geben vermag, beweisen
eine Reihe landschaftlicher Blätter, die seit etwa 1901 entstanden sind. Eine im kleinen Maßstab
groß empfundene Radierung zeigt das Erbbegräbnis der Jahnschen Familie auf dem kleinen
St. Wolfgangskirchhof zu Meißen; in düsterem Schwarz ragt eine riesige Zypresse empor, aber an
das Tor schmiegt sich ein voller Busch eben erblühter wilder Rosen. Durch die Mischung ver-
schiedener graphischer Manieren, vor allem durch eine Arerbindung von Vernis-mou- und Aqua-
tinta-Technik erzielt der Künstler auf seinen landschaftlichen Darstellungen oft die überraschendsten
Effekte. So in den »Fischerbooten« (1902): die einfachsten Mittel, ein paar helle Flecken im schwei-
genden Wasser, das an die Hafenmauern schlägt, und die friedevolle Weltvergessenheit der
Szene ist erinnerungsmächtig festgehalten. Eine »Wiese, voller Margueriten«, wie in Otto Julius
Bierbaums feinem Gedicht »Freundliche Vision« (Sternblumenwiese 1902^ mag, in Wahl und
Behandlung des Naturausschnittes und in der zarten Lyrik des Gedankens, wohl an Einzelnes
von Heinrich Vogeler erinnern. Zu einer Naturanschauung aber, wie sie durch Böcklins Schaffen
in die deutsche Landschaftskunst eingeführt ist, schwingt sich Jahn in zwei Blättern auf, deren
Motive er bei einem Aufenthalt auf der Insel Bornholm geschaut hat. Die »Ruine am Meere« und
das »Gewitter am Meere« (1902) konzentrieren auf engem Räume die grollende Wucht der
Brandungskette, die gegen die felsige Küste stürmt, und darüber die furchtbare Schlacht der

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