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EIN NEUES BLATT AUS DÜRERS SKIZZENBUCH
DER NIEDERLÄNDISCHEN REISE.

Das Blatt, dessen beide Seiten unsere Reproduktionen darstellen, gehört der Sammlung des
Herrn Geheimrates R. von Passavant-Gontard in Frankfurt a. M., mit dessen gütiger Erlaubnis diese
Veröffentlichung erfolgt. Der frühere Besitzer war der Schwiegervater des gegenwärtigen, Herr Moritz
Gontard in Frankfurt a. AI., der das Blatt in den fünfziger Jahren erworben haben soll. Weiter läßt
sich der Stammbaum der Zeichnung nicht verfolgen, da der Sammlerstempel links unten zu
undeutlich ist, um sich identifizieren zu lassen. Auch in der Literatur habe ich sie nicht erwähnt
gefunden. Das auf der einen Schmalseite etwas beschnittene Blatt mißt 132: 182 Millimeter und ist
auf grundiertem Papier in jener Technik ausgeführt, die uns neuerdings Josef Meder in seinem
»Büchlein vom Silbersteft« so anschaulich geschildert hat.

Die Vorderseite des Blattes — wenn wir die uns wichtiger dünkende so nennen dürfen —
zeigt links das Brustbild eines kräftigen, wrohlgekleideten jungen Mannes. Er schaut mit großen
Augen nach links in die Ferne, als wollte er dem prüfenden Blick des Zeichners ausweichen. Auf
dem halblang geschnittenen Haar trägt er einen weichen Hut mit aufgebundenen Krempen, wie
man ihn auf Ritten und Reisen damals aufzusetzen pflegte. Im übrigen ist er mit einem pelz-
gefütterten Leibrock und einem darüber gezogenen ärmellosen Wams aus gemustertem schwerem
Stoff recht warm bekleidet. Das begreift sich auch, wenn man bedenkt, daß der Jüngling zur
Winterszeit, zwischen dem 8. und 10. Dezember 1520, auf einem Schiff an der seeländischen
Küste porträtiert wurde. Diese Datierung und dazu noch den Namen des Dargestellten verraten
uns in aller Deutlichkeit die darüber gesetzten Worte in Dürers wohlbekannter Handschrift:
»marx vlstat den hab ich awff dr se conterfet«. — »Auf der See« war Dürer nur einmal in
seinem Leben, bei dem denkwürdigen Ausflug, den er von Antwerpen aus über Bergen op Zoom
Anfang Dezember 1520 unternahm, um den gestrandeten Walfisch zu sehen, den ihm inzwischen
die Flutwelle vor der Nase weg entführt hatte. Wer war Marx Ulstat? Ein Jemand, den Dürers
Griffel in einem Augenblick seiner vergessenen Existenz festgehalten und im wahren Sinne des
Wortes verewigt hat. Neben Herrn Ulstat erscheint als spätere Eintragung in strenger Frontal-
ansicht ein junges Mädchen, dessen rundliches Antlitz mit den großen Augen, dem kleinen, vollen
Mund und dem Grübchen im Kinn einem der Idealköpfe ähnelt, wie sie Dürer im Zusammenhang
mit seinen Proportionsstudien zu errechnen liebte. Das Mädchen ist indessen keineswegs ein
konstruierter Schemen, sondern eine sehr leibhafte Antwerpnerin gewesen. Ihren Namen und Stand
erfahren wir freilich nicht. (Vielleicht war er nicht sonderlich ehrbar.) Genug, sie hielt den Blicken
 
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