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Laterne auf die traurige Gruppe fallen, die Männer stehen angstvoll schweigend herum; gespenstische
Schatten umrahmen das Bild der Erwartung des Todes. Die Gestalten gehören keiner bestimmten
Zeit an, es sind nur Menschen, wie sie zu allen Zeiten hoffen und zittern um einen Geliebten. Das
Ganze ist der Traum eines Kranken in einer Nacht der Gefahr, in einer jener Nachte, da die Seele
in unendlicher Müdigkeit fast darauf verzichtet, sich an den Leib zu klammern, der sie verrät.

»Vor der Kreuzabnahme« heißt das andere Blatt. Wiederum ein Fiebertraum. Vor dem
schwarzen Himmel erhebt sich das Kreuz. Darunter, beleuchtet von den Flammen eines Kohlen-
beckens, eine wild bewegte Menge in der Tracht unserer Tage. Alles in Trauer und Aufruhr, in
Gebet und Verzweiflung; Männer bringen eine Bahre. Frauen weinen mit zerrauftem Haar; das
Ganze getaucht in Schrecken und Geheimnis. Will der Künstler sich und die Seinen mit dem
Drama von Golgatha eins fühlen? Ein solcher Gedanke, wie ihn übrigens schon mancher Maler und
Radierer, zum Beispiel Louis Legrand, gehabt haben, wäre ganz im Wesen christlicher Mystik,
nach der ja die Betrachtung der heiligen Leidensgeschichte den Gläubigen in allen Prüfungen
ständig begleiten soll und jeder Schmerz die Kreatur mit dem menschgewordenen Erlöser nur
enger vereint.

Die vorstehenden Bemerkungen über einige Werke Max Svabinskys können nur eine unvoll-
kommene Vorstellung geben von seinen Fähigkeiten und seiner reichen Phantasie, und ich wäre
zufrieden, wenn sie wenigstens die hohe Achtung, mit der mich Svabinskys Kunst erfüllt, ermessen
ließen. Svabinsky hat außerordentlich viel gearbeitet, und die Zahl seiner Werke ist beträchtlich,
obwohl er noch jung an Jahren ist. Er ist noch in voller Entwicklung, es wäre also unvorsichtig,
ein abschließendes Urteil über ihn fällen zu wollen. Viel ist noch von ihm zu erwarten, das letzte
Wort muß und wird er selber sprechen. Was mich am meisten an ihm überrascht und erfreut, das
ist sein strenger Kunstverstand, sein Klassizismus, das Wort im richtigen Sinn genommen. Heute,
wo die jungen Maler Unwissenheit und Unbefangenheit verwechseln, Zeichnung, Studium, Kompo-
sition verwerfen und für ein Hemmnis der Phantasie erklären, so daß Häßlichkeit. Gemeinheit und
Narrheit die sichtbare Strafe sind für so viel Anmaßung, Faulheit und Originalitätssucht, heute
tut es wohl, bei einem bedeutenden Künstler, der die Vierzig noch nicht erreicht hat, so viel
Achtung vor den ewigen Bedingungen seiner Kunst, so viel Gewissenhaftigkeit, so viel nimmer-
müde Ausdauer zu finden.

Camille Mauclair.

Anmerkung der Redaktion. Aul Wunsch des Künstlers baben wii i . Mauclairs Geleitwort zu dem großen Prachtwerk »Max Svabinsk}
Eaux-foi tes et Dessins« (Prag 1911. bei Jan stenci — in gekürzter deutscher Bearbeitung — als Text des vorstehenden Aufsatzes verwendet. —
I inige dei von C. Mauclair erwähnten Arbeiten Svabinskys linden sieh in früheren Jahrgängen der »Graphischen Künste i 1904, 1907 und 1909)
abgebildet.

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