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sich auch von dem Manne Goethe das Feuer des »Götz« und »Werther« nicht mehr an-
fachen ließ.

Wie sich hier schon zeigt, daß Couture für Feuerbach im wesentlichen nur ein Umweg zu
Veronese war, so hat er in dem Moment, wo er den Boden Venedigs betritt, die sichere Empfin-
dung, nun erst in seine wahre geistige Heimat zu gelangen.

Ein wunderbares Glücksgefühl atmen seine Briefe aus dieser Stadt, wohin er im Jahre 1855
an der Seite Josef Viktor Scheffels pilgerte, um dort zunächst im Auftrag seines Landesherrn, des
Großherzogs von Baden, die »Assunta« Tizians zu kopieren. Die unvergleichliche Ruhe der
Lagunenstadt, ihre »träumerische Schönheit und weiche Schwermut« senkt sich auf seine Seele.
Sofort fühlt er sich den alten Großmeistern der venezianischen Malerei wahlverwandt; »hätte ich«,
so schreibt er, »zu ihrer Zeit gelebt, so würde ich vielleicht in mancher dunklen Kirche ein Bild
mehr finden, das sich an die große Kette still als bescheidener Ring anfügen dürfte«. Und wie
schön umschreibt er das Eigenste und Seelenvollste, was die ältere venezianische Malerei besitzt,
den von ihr ausgeprägten Typus der »santa conversazione«:

»Dunkle Madonnen, in schöner Architektur sitzend, umgeben von ernsten Männern und
schönen Frauen. Immer sind drei Engelchen darunter mit Geigen und Flöten. Ich finde, daß damit
alles gesagt ist, was man braucht, um schön zu leben«.

Und so ist denn auch die Figur seines ersten selbständigen Bildes, das auf italischem Boden
entstanden ist, wie aus einer venezianischen santa conversazione herausgetreten. Es ist leicht, die
Verzeichnungen an dieser Gestalt zu sehen; schwieriger, den Adel der Empfindung zu bemerken,
der sich in dieser Schlichtheit ausspricht. In dieser stillen Würde liegt die Absage an die figuren-
reichen, dramatischen Bilder der Frühzeit Feuerbachs, an jene »Gedankenblitze«, wie er sie selber
nennt; es ist die erste Illustration zu dem wundervoll formulierten Programm, das sich Feuerbach
im Umgang mit der venezianischen Malerei Bellinis und seines Kreises geformt hatte und das da
lautet: »Das feinste Pathos liegt in der Einfachheit«.

Auch der Entwurf zu dem ersten größeren Bild, das er in seinem ersten römischen Jahr ausführt,
zu dem Bilde »Dante und die edlen Frauen von Ravenna«, stammt noch aus Venedig. Der tieftonige
Akkord, den es anschlägt, mutet denn auch noch völlig venezianisch an. Es ist, als ob die
Gestalten einer santa conversazione sich leise in Bewegung gesetzt hätten und sich zum Heim-
weg anschickten. Venezianisch sind die Farben, die im Schein der Abendsonne tief erglühen. Die
voranschreitende Frau steht wie eine Heilige des Cima da Conegliano vor der tiefen Landschaft,
in freier Luft. Und in der fein rhythmisierenden Wiederholung des gleichen Frauentypus' in ver-
schiedenen Stellungen liegt etwas, was an den wundervoll ruhigen Rhythmus der drei heiligen
Frauen auf dem Chrysostomus-Bilde von Sebastiano del Piombo erinnert, wo auch ein und der-
selbe Kopf in drei verschiedenen Ansichten wiederkehrt. Feuerbach hat das Bild in S. Giovanni
Crisostomo in Venedig sicherlich gesehen.

Doch ist auch ohne Zweifel die Stimmung der ungeheuren Ruhe, mit der das alte Rom und
seine Landschaft den Fremden umfängt, hier produktiv geworden. Geht doch derselbe ruhevolle,
still beseligte Rhythmus durch die Briefe Feuerbachs in jenen ersten römischen Monaten: so, wenn
er im Mai 1857 schreibt: »In Frascati gewesen. Schöner, glücklicher Tag! Dunkle Laubgänge,
wandelnde, verschleierte Frauen; auf der Fahrt das blitzende Meer, die weite, weiche, dämmernde
Campagna! Schöne Gedanken ziehen wie Musik durch die Seele«. Und einige Tage später: »Dante
im Garten wandelnd, sprechend mit edlen schönen Frauen. Die jüngste Tochter Beatrice an seine
Schulter gelehnt. Es wird wie ein Andante von Mozart sein«.
 
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