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HHB3 - ü

Nun hatte er auch dies Geheimnis gotischer Kunstform sich in nimmermüder Arbeit gesichert.
Er konnte jetzt an die landschaftliche Komposition gehen. So entstand im Laufe der letzten Jahre
eine große Folge von Federzeichnungen, Meisterwerke ihrer Art. Steppes bedient sich dabei eines
zusammengesetzten Verfahrens, indem er die Blätter gerne weiß erhöht oder Zeichnung und
Farbe auf ihnen zur reizvollsten Einheit zusammenarbeitet. Leider machte er noch nicht den Versuch,
diese einzigartigen Blätter graphisch zu vervielfältigen. Nur die Eisenradierung und der Holzschnitt
böten die Mittel, die kernigen Strichlagen dieser prächtigen Zeichnungen vollgültig bei der Über-
setzung auf die Platte zu erhalten.

Als einziges Beispiel dieses neuen Stiles bilden wir seine Zeichnung »Sonnenaufgang« ab,
die es jedem Betrachter offenbart, wie mit der neueroberten Technik sich der Leidenschaftsausdruck
in Steppes Kunst vertiefte: Wiederum ein phantastisches Hochgebirgsbild: Kahle Bergkuppen,
Wettertannen, ein See mit steinigem Gestade. Über die Einsamkeit der Berge bricht mit ungeheurer
Vehemenz die Sonne, schleudert ihr Licht über die geblendeten Hänge der Gebirge, daß sich die
verscheuchten Schatten furchtsam in die Rillen der zerspaltencn Schroffen graben. Über zwei hagere
Tannen brandet das erste Licht. Es faßt sie an in tönender Bewegung, daß sie wie flirrend dastehen.

Dies Bild ist das Zeitbekenntnis unseres Malers, zugleich der Dank an den großen Meister
Wolf Huber, dessen Lehre er mit solcher Leistung entwuchs.

So winkt es zurück zu den Werken deutscher Vergangenheit, aus denen Edmund Steppes
seiner Kunst das Beste gewann. Doch in der ungeheuer ernsten Sprache eines ihrer Aufrechtesten
redet er zu seinen Zeitgenossen. Er nimmt die Worte wieder auf, die er vor zwölf Jahren in seiner
mannhaften Schrift von der deutschen Malerei zu seinem Volke schon einmal gesprochen hat.

Er faßt sie zusammen zu einem sehnenden Bittruf an die Sonne.

Unter der Zeichnung steht in einer eigenwilligen deutschen Schrift: »Sonne, bring uns einmal
noch die vergess'ne deutsche Kunst in ihrer herben Schönheit an den Tag — daß sie uns wieder
wärme!«

Wilhelm Fraenger.


 
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