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Ein nicht beneidenswertes Los begleitet denn auch heute jene Künstler, deren innerstes, jenen
Idealen zugewandtes Sehnen und Träumen in der Vergangenheit durch den Widerspruch der
Gegenwart empfindlich abgelenkt und gehemmt werden.

Als ein später Zweig vom Stamme deutscher Romantik, den die mangelnde Sonne nicht zu
einer natürlichen Entfaltung gelangen ließ, lebt Carl Müller, ein Wiener alten deutschen
Schlages, unter uns. Fast alle seine illustrativen Äußerungen — seine Kartons für Glasmalereien
ausgenommen — vollzogen sich im Verborgenen und schlummern noch in seinen Mappen als
Heimlichkeiten, die nur Vertraute sehen dürfen. Wenn wir hiervon das eine oder andere an die
Öffentlichkeit zu bringen versuchen, so geschieht dies wohl in der guten Absicht, nicht nur eines
Künstlers eigener Art gerecht zu werden, sondern auch des Beweises halber, daß in der deutschen
Kunst der romantisch-volkstümliche Geist still und verborgen weiter spinnt, um sich immer wieder
zu offenbaren und des Tages zu harren, wo er zu seinem Volke neuerdings und ungescheut
sprechen darf.

Die Kunstfreunde kennen Carl Müller nur aus seinen fleißig studierten mittelalterlichen
Städtchen, Höfen und Biedermeierinterieurs, die er in der Wiener Sezession, der er seit ihrer
Gründung als Mitglied angehört, alljährlich zur Ausstellung bringt. Nähertreten wir ihm, wenn wir
in den inhaltsreichen Mappen der Hagen-Gesellschaft (Albertina), die auch sonst für so viele Wiener
Künstler einen reichen Quell jugendlicher Ansätze enthalten, seiner ersten Entwicklung nachspüren.
Eine Fülle seiner innersten Regungen, Gelesenes, Erträumtes und Empfundenes drängt hier bereits
nach illustrativer Äußerung und gestaltet sich klar und reinlich unter seinem spitzen Griffel. Fast
die Mehrzahl der Blätter schlägt rein lyrische Momente an, Lieder ohne Worte, meist episch vor-
getragen, etwas elegisch umschleiert. Selten klingt das Leidenschaftliche mit. Eine Friedhofszene
am Allerseelenabend, der alte Junggeselle, Gang durch die Wiese, das weinumrankte Marterl, am
Bach, ein einsames Waldkirchlein in Frühlingsstimmung — alles im Kleide vergangener Zeiten.
Seine landschaftlichen Zeichnungen mit dürren Bäumen und phantastischen Weiden auf j weiter
Schneefläche, winterlich einsam, tragen den Charakter leiser Wehmut. Stämme und Geäste folgen
ornamentalen Formen und ordnen sich illustrativ an.

Auch das Wienerisch-Vorortliche kommt in epischer Auffassung immer wieder zum Durch-
bruch, kleine Ereignisse aus dem Volksleben, Figuren an der Straßenecke, wo man gerne
stehen bleibt, Plaudereien in der Einfahrt, liebliche Kindergruppen —■ und stets aus den unteren
Schichten.

Seinem allezeit versteckten Humor folgend, zeichnet er Kaffeehausmenschen, Typen der
Langweile und des Stumpfsinnes, oder er erlaubt sich satirische Angriffe auf seine Kollegen,
treffend, aber ohne Bosheit, denn alles mildert sein warmes Gemüt.

Wir müssen tief bedauern, daß jene fruchtbaren neunziger Jahre nur in genügsamer Selbst-
äußerung dahinrannen und spurlos an unseren Verlegern vorübergingen, daß ihn keiner entdeckte
und er selbst seine Scheu nicht soweit zu überwinden vermochte, um seine Talente fruchtbar
anzulegen.

Der Zug zur romantischen Kunst hatte ihn frühzeitig, noch während seiner akademischen
Lehrjahre bei Professor Trenkwald in Wien, zum Kartonzeichnen für die Tiroler Glasmalerei
geführt, deren Ausführung für das In- und Ausland, selbst für Amerika bestimmt war. Deckte sich
hier auch seine Neigung mit den künstlerischen und religiösen Forderungen, so vermochten weder
die einseitigen Ziele noch der bescheidene materielle Erfolg sein Streben nach Entwicklung zu
befriedigen.

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