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Eppers bleibt: er predigt den Menschen, wie traurig sie leben, er predigt die Idee als klare Formen-
sprache, seine Bilder sind gläubige Proteste gegen die faule und niedere Gesellschaft. Das Motiv
des Sebastian wiederholt sich immer wieder, wohl ein Stück von Epper selbst. Sebastian entzieht
sich asketisch dem Leben, ist aber bereit, die Welt duldend zu empfangen, in sein Leiden gefesselt.
Sehnsüchtig schmachtet er unter den Pfeilen des eigenen Eros. Nach außen geschnellt tragen
die Pfeile Frucht und Erlösung, nach innen Qual und Todesverlangen. Zwitterhafte Verzweiflung,
wo Tod und Leben als eine Sonne erstrahlt. Vollendet wirkt das Bild von 1918. Da hat der Welt-
krieg seinen wahnsinnigen Gipfel erreicht und Sebastian blüht wahrhaftig zum Menschheitssymbol
jedes Fühlenden und jedes Denkenden auf. Die Erdenlandschaft steigt in Äckern hinan, erhebt sich wie
zu jungfräulichen Brüsten. Der Tag naht. Nach der Passion folgen Holzschnitte zur Odyssee. Er sucht
nach langer Irrfahrt eine Heimat, die er erobern muß. Wiederum findet er sich verloren als Sohn
bei den Schweinen, die er hütet. Die Pferde verschwinden und kehren wieder im Sturmlauf gegen
das Weib: Judith und Holofernes, Josef und Potiphar, Simson und Dalila zeigen, wie fern Epper
natürlichen Liebeskämpfen noch steht, wie er selbstgetreu auf dem schwersten Weg weiter-
schreitet. Seine Produktivität ist staunenswert, er arbeitet ohne Unterbruch des Gewissens.

Und genau wie er in sich selbst hineinblickt, so schaut er in die Natur, in die Landschaft
der Großstadt. Hunderte von schwarzen und farbigen Kreidezeichnungen bezeugen, wie heiß und
energisch er sich an die Realität heranmachte. Seinen schmerzverzerrten Formen ordnen sich die
wirrsten Häuserquartiere, Bahnbauten, Kanäle und Fabriksgebiete klar ein. Die Perspektive ist da,
aber kubisch aufgeteilt. Oftmals ist der Raumsinn erschüttert. Die Straßen wogen, die Häuser
neigen sich und doch bleibt die ganze Komposition fest und natürlich. Der Raumbegriff bedeutet
keine Anschauungsform mehr, sondern dynamische Vorstellung. Veraltet ist der stehende Be-
trachter. Wer durch die Straßen wandert, wechselt die Linien (Kanten), das Massive aber bleibt als
Gegenstand. Epper hält an, sein Stift markiert die Orte, wo das geistige Leben stagniert, bedroht
wird, wo öde Einsamkeit uns zum Denken zwingt oder dann zum tierischen Träumen: Schmieren-
kabarette, Wartesäle, Krankenzimmer, Truppenplätze, wilde Nächte in Trinkbuden. Wo Menschen
stumpfsinnig leiden oder blöde sich ergötzen, führt er getreulich Buch. Einmal glaubte ich, er
werde wirklich Maler, die Farbe erlöse ihn. Pastellblätter aus dem sonnigen Tessin zeigen eine
Zartheit des Sehens, das irgendwann wieder mächtiger hervorquellen muß. Ein goldgrünes Flimmern
durchscheint diese Seelandschaften im Rhythmus fächelnder Akazien. Die blanken Schiffe liegen
auf dem blauen Wasser verankert, wie wenn sie eben von Hand in den weichen Seespiegel gesetzt
worden wären. Die Reflexe wurden einfach und neu beobachtet. Landschaften vom Zürcher See
enthalten elementare Kämpfe zwischen Sonne und Fluten, die sich brennend durchwühlen. Eppers
Netzhaut sucht auch in der Natur draußen das Schwerste, das Unstoffliche zu assimilieren und drückt
sich erfolgreich aus. Die Pferde tauchen immer wieder auf, wollen von einer Triebanarchie ihres
Schöpfers wissen, mit schrecklich zitternden Nüstern und wehheißen Menschenaugen. Laut von
Gefahr reden die seelischen Wurzeln, aber Eppers Talent ist zu groß, zu zwingend, zu einfach —
es siegt immer wieder und siegt besser, weil er auch sprachlich gut und außergewöhnlich ehrlich
zu denken beginnt.

Epper war ein schlechter Soldat aufgeklärt, aber passiv, litt er am Dienste. Ein Schein-
toter gilt ihm das mechanisierte Muskeltier Soldat. Wie Erstarrte schlafen die Mannschaften in der
Wachstube, von grellem Licht gefoppt (damit jeder beim Alarm schnell sein Gewehr findet). Wie
herb, fast brutal, sein Messer in den Holzstock schneidet, erkennt man leicht im Blatt, das den
Winkel einer Schenke beschreibt. Die Perspektive des Tisches beugt sich nach den Gesetzen des

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