Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


LILLY STEINER.

In der Folge von Kaltnadelarbeiten, die 1916 als Mappe unter dem Titel »Hochgebirge« bei
Anton Schroll & Co. in Wien erschienen ist, hat Frau Lilly Steiner ihren persönlichen künst-
lerischen Ausdruck gefunden; diese persönliche Art und Weise fügt sich zwanglos dem ein, was
heute die jungen Künstler wollen, und ließe sich mit dem Schlagwort »gemäßigter Expressionismus«
vielleicht noch am ehesten verdeutlichen. Die zehn Radierungen sind, was ihre technische Seite
betrifft, primitiv gearbeitet. Das Hantieren mit der Schneidenadel ist jedenfalls leichter und einfacher
als das mit Aquatinta und Ätzgrund. Aber auch die Form ist weit eher kindlich als überfeinert
und ausgeklügelt. Ein einzelner Baum etwa ist recht ungeschickt gezeichnet und auch dem Umriß
eines Bergkammes ist die Nadel nur gleichsam tastend nachgekommen. Trotzdem wirken die
meisten Blätter, wenn auch nicht stürmisch und wuchtig, so doch eindringlich und nachhaltig,
denn ihre Auffassung ist eigenartig und nicht klein, ihre Ausführung ehrlich. Die Kunst ist immer
subjektiv, subjektiver denn je aber ist die neueste Kunst unserer Zeit. Wer die von Frau Steiner
in die Kupferplatten eingeritzten Siglen zu lösen versteht, dem werden daraus die Größe und die
Mannigfaltigkeit des Hochgebirges zwar nicht überwältigend, aber eindrucksvoll entgegentreten.

Der besprochenen Folge gingen 1914 die noch etwas unselbständigen »Donaulandschaften«
voraus. 1917 entstanden acht Kaltnadelblätter: »An der Elbe«. Das vierte Blatt dieser Reihe: »Das
andere Ufer«, ist ebenso wie eine andere ungefähr aus derselben Zeit stammende Radierung,
»Blick übers Land«, durch die wohlgelungene, schöne Tiefenwirkung ausgezeichnet. Auch das
Blatt: »Neuer Frühling«, das hinter laublosen dünnen Stämmchen Feldarbeiter zeigt, bringt das,
was es anstrebt: den Betrachter an den herben, keuschen Reiz des Vorfrühlings zu erinnern,
mit seinen bescheidenen, fast kümmerlichen, aber ausdrucksvollen Mitteln einwandfrei und über-
zeugend zuwege.

Frau Steiner, die früher natürlich auch geätzt hat, bedient sich seit Jahren ausschließlich der
Schneidenadel. Auch das Blatt, das hier im Original beigelegt werden kann, ist eine Kaltnadel-
arbeit. Es stellt ein Motiv aus Mönichkirchen dar und stammt aus dem Sommer 1918.

Die Künstlerin ist 1884 in Wien geboren. Schon mit fünfzehn Jahren wurde sie an der damals
neu gegründeten sogenannten Damenakademie Schülerin Ludwig Michaleks, den sie als Lehrer,
Künstler und Menschen gleich hochstellt. 1904 trat sie mit einem Blatt in der Mappe des »Radier-
klubs der Wiener Künstlerinnen« zum ersten Male vor die Öffentlichkeit. Ausgestellt hat sie
seither zu wiederholten Malen, und zwar im Hagenbund, in der Sezession, im Wirtschaftsverband
und im Sonderbund, 1917 und 1919 bei Halm & Goldmann.

Als ihr größtes künstlerisches Erlebnis gibt Frau Steiner eine holländische Reise im Jahre
1913 an, in ihrer Vaterstadt machten die Spätwerke Klimts und die Zeichnungen Schieies den
stärksten Eindruck auf sie.

Frau Steiner ist keineswegs nur als Radiererin tätig, und die Vorwürfe ihrer Arbeiten
beschränken sich durchaus nicht bloß auf die Landschaft. In den letzten Jahren malt sie viel,
wodurch sie ihre graphischen Arbeiten vorteilhaft von all dem entlastet findet, was sieh mit dem
Pinsel besser als mit der Radiernadel ausdrücken läßt. Auf der letzten Ausstellung bei Halm & Gold-
mann waren von ihr auch gute Akt- und Bildniszeichnungen zu sehen. A. W.

100
 
Annotationen