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Gesellschaft für Vervielfältigende Kunst [Hrsg.]
Die Graphischen Künste — 55.1932

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Fischer, Otto: Radierungen und Holzschnitte von Max Beckmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.6347#0046
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RADIERUNGEN UND HOLZSCHNITTE
VON MAX BECKMANN.

Max Beckmann ist neben Ernst Lud-
wig Kirchner derjenige deutsche Maler, der
mit der schärfsten Bewußtheit und mit der
stärksten Wirkung in seinen Werken die
große Umbildung der malerischen An-
schauung vollzogen hat, die wir in den
letzten 25 Jahren beobachten können. Beide
haben — als Antipoden ihrem persönlichen
Wesen nach und dennoch mit zeitbestimm-
ter Notwendigkeit in derselben Richtung
schreitend — das Weltbild unserer Gene-
ration, soweit es im Bilde sich ausspricht,
entscheidend umgeformt. Beide haben auch
als Zeichner diese Wandlung erfahren und
folgerichtig durchgeführt. Sie haben ihr in
einer reichen und ungemein intensiven
Schöpfung graphischer Werke einen Aus-
druck geschaffen. Vielleicht spricht das
innere Wesen und die bestimmende Form
ihrer Kunst noch schärfer und eindeutiger
in ihrer Graphik als selbst in ihren Bildern
sich aus.

Beckmann ist ganz Beobachter, ja der

Max Beckmann, Selbstbildnis mit steifem Hut. 1921. Radierung, schärfste und kritischeste Beobachter des

zeitgenössischen Lebens und Menschen-
wesens. Mit unheimlicher, bohrender Gewalt dringt, was er sieht, in ihn ein. Mit derselben Gewalt
erfährt und erleidet er in sich selber die Not, die Zerrissenheit und Verzweiflung des Menschen, dem
kein Gott und kein holder Wahn mehr lächelt, der in völliger Einsamkeit, ganz auf sich selbst
gestellt, einer nackten und furchtbaren Wirklichkeit gegenübersteht. Er befreit sich, indem er sie
darstellt. Keiner hat die unterirdischen Dämonen, die unsere Zeit und die den einzelnen Menschen
beherrschen, so scharf gesehen. Er zwingt sie an die Oberfläche in den Bildern seiner Menschheit.
Er will sie nicht übersehen, will sich und anderen nichts vormachen. Er bejaht das Leben, sein
Erlebnis des Lebens, nackt wie es ist, und stellt es so vor uns hin. Je mehr alle Verkleidung fällt.

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