Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Max Beckmann, Straße II. 1916.

Radierung. 2. Zustand.

desto stärker und unerbittlicher wird es wirklich. So mußten auch die herkömmlichen Formen der
Darstellung,' die in der Anschauung eines herkömmlichen Weltbildes gegründet sind, mit Not-
wendigkeit überwunden, mußten neue gesucht und geschaffen werden. Raumerlebnis und Raum-
gestaltung, Farbe und farbige Wirkung, Komposition und Zeichnung sind grundlegend umgebildet.
Eben weil ein solcher Künstler mit männlicher Unbedingtheit, mit Konsequenz und Gründlichkeit
seine Wirklichkeit bildet, weil dieser Prozeß einer künstlerischen Neuschöpfung mit Notwendigkeit
in immer neuen Phasen der Bezwingung sich vollzieht, überrascht er immer aufs neue, stößt er
zuerst zurück, um dann durch die Stärke seiner Verwirklichung uns doch zu bezwingen. Die
früheren Phasen dieses Schaffens, die wir bereits erlebt und verdaut, die sich uns eingebildet haben,
sind uns verständlich, ja schön geworden, die neuen müssen wir erst durch Überwindung erleben.
So entsteht vor unseren Augen, ja in uns selber ein neuer Stil.

Das graphische Schaffen Beckmanns umfaßt ungefähr die Zeit von 1911 bis 1925. Es läßt sich
in vier Perioden der künstlerischen Entwicklung gliedern. Die erste, um 1911 bis 1912, liegt noch
ganz in der Tradition impressionistischer Anschauung und Wirkung, wie sie in Norddeutschland
von Liebermann und seinen Altersgenossen ausging. Es entstehen einzelne Radierungen und zahl-
reiche Lithographien, darunter ein Zyklus aus dem Leben Christi, der stark von Dostojewskij berührt
scheint, vor allem aber Bilder aus dem Großstadtleben: Cafe, Nachtszene, Badeszene, das Modell,
ein Selbstbildnis. Sie schweben in einer lebhaften Wirkung von Hell und Dunkel, das in feinen,
nervösen Stufungen und Gegensätzen bewegtes Licht und spielende Atmosphäre deutlich macht.
Die Zeichnung ist mehr andeutend als formend, ein momentaner Lebenseindruck ist mit scharfem
Zugreifen festgehalten. Mit dem Ausbruch des Krieges, den Beckmann als innerste Erschütterung

38
 
Annotationen