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NEUE ARBEITEN VON LILI RETHI.

Die Künstlerin, über die hier 1921 berichtet wurde, hat auch seither ihr Pfund nicht vergraben,
ist vielmehr die ganze Zeit über außerordentlich fleißig gewesen. Die folgende Übersicht, die sich
auf Angaben der Künstlerin selbst stützen kann, gibt über ihre Arbeiten und ihre Erfolge während
der letzten zehn Jahre knappen Aufschluß: 1922 zeichnete sie elf Monate hindurch im Eisen- und
Stahlwerk »Dortmunder Union«, das damals Stinnes gehörte, und in der Zeche »Rote Erde« bei
Dortmund. Sie war täglich zehn bis elf Stunden tätig, oft in der Nachtschicht. In der »Roten Erde«
kam sie bis 870 Meter tief. 1924 war von ihr auf der Frühjahrsausstellung des Wiener Künstler-
hauses der sieben Blatt umfassende Zyklus »Germinal« zu sehen, angeregt durch Zolas gleich-
namigen Roman. Den sieben Kompositionen lagen Dortmunder Bergwerksstudien zugrunde. Eine
aus sieben Lithographien bestehende Mappe »Germinal« erschien 1927 im Agis-Verlag zu Wien.
Die Auflage wurde dann später von einem Berliner Kunsthändler erworben. 1928 beteiligte sich
die Künstlerin, eingeladen vom Technischen Museum in Wien, mit 18 Blättern an der Internationalen
Ausstellung »Kunst und Technik« im Folkwang-Museum zu Essen. 1929 übersiedelte sie von ihrer
Vaterstadt Wien nach Berlin. 1929/30 schuf sie in drei Wochen hundert Bleistiftzeichnungen nach
Motiven aus dem alten Prag. 1931 arbeitete sie fünfeinhalb Wochen angestrengt in Deutschland,
Belgien und Elsaß-Lothringen. Das Ergebnis dieses Fleißes, hundert Bleistift- und Pastellzeichnungen,
war unter dem Titel »Deutsche Großbaustellen 1931« im November dieses Jahres im Haus der
deutschen Ingenieure zu Berlin ausgestellt. Diese Ausstellung wurde von dem österreichischen
Gesandten in Berlin, Dr. Frank, und von dem Vorsitzenden des Vereins deutscher Ingenieure,
Professor Matschoss, eröffnet.

Von diesen Zeichnungen führen unsere Abbildungen Beispiele vor, und über das Zustande-
kommen dieser Arbeiten berichtet auf fesselnde Weise unten die Künstlerin selbst. Es ist interessant,
von ihr zu hören, daß sie in diesen Naturstudien nur Vorstufen zu anderen Werken, nur Anregungen
für ihre Phantasie erblickt, die noch Größeres, als an jenen Großbaustellen in Holz und Stein, Eisen
und Beton ausgeführt worden ist, mit dem Zeichenstift erschaffen will. Für das, was ihr ungefähr
als künstlerisches Ideal vorschwebt, ist der Name Piranesi bezeichnend, den sie gelegentlich ver-
gleichsweise nennt.

Angesichts der abgebildeten kühnen Zeichnungen ist es eigentlich überflüssig, darauf hinzu-
weisen, mit welch spielender Meisterschaft da die schwierigsten perspektivischen Probleme be-
wältigt, wie überzeugend die verzwicktesten Konstruktionen der riesigen Gerüste veranschaulicht
sind. Erstaunlich ist die Schärfe des Auges, die Sicherheit der Hand, vielleicht noch mehr aber fühlt
man sich durch das reife Verständnis für jene ungeheuren Werke der modernen Technik und die
gespannte innere Anteilnahme an ihnen angezogen. Niemals wirken die Zeichnungen lediglich als
peinlich genaue Abschriften der Wirklichkeit, immer sind sie vom Feuer einer starken Künstler-
persönlichkeit durchglüht. A. W.

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