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Abb. 1. Georg Wilhelm Fasel, Goethes Apotheose. Radierung, 1835. Wien, Prof. A. F. Seligmann.

DIE GRAPHIK IN GOETHES KUNSTWELT.

Die Gedächtnisausstellung, die der Wiener Goethe-Verein
zum 100. Todestag des Dichters in der »Albertina« ver-
anstaltet hat, vereinigte neben anderen geschichtlichen
Zeugnissen eine Fülle von graphischen Werken. Im
folgenden soll der Versuch gemacht werden, dieses
Material nach einheitlichen Gesichtspunkten in größerem
Zusammenhange zu behandeln.

Problemstellung. Zwei Menschenalter hindurch stand Goethe gebend und empfangend im Brenn-
punkt des europäischen Geisteslebens. Die Wechselwirkung zwischen ihm und der Welt betrifft nicht
zuletzt das Gebiet der bildenden Kunst. Goethe war Augenmensch — »zum Sehen geboren, zum
Schauen bestellt«. Von Jugend auf hat sein Vorstellungsleben die nachhaltigsten Eindrücke von
Kunstwerken empfangen. Am Eingang der Sturm- und Drangperiode steht das Erlebnis des
Straßburger Münsters, und die Wendung des Dichters zur klassischen Form kam weniger unter
dem Eindruck der antiken Literatur als dem der antiken Kunst in Italien zustande. Der Wechsel
in seiner Geschmacksrichtung ist durch die kunstgeschichtliche Entwicklung der Zeit bedingt, in
die er hineingeboren war.

Goethe hat lange an seine Berufung zum bildenden Künstler geglaubt. Abgesehen von wenigen
(verlorengegangenen)Malversuchen und ein paar Radierungen sind jedoch nurZeichnungen aus seiner
Hand hervorgegangen. Sein Talent war rein graphisch. Goethes zeichnerisches Werk (der Nachlaß
umfaßt etwa 3000 Blatt) spiegelt nicht nur das Kunstwollen seiner Epoche, sondern erweist sich

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