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darüber hinaus als schöpferische Leistung.
Zum erstenmal dient die Landschaft zum
Träger seelischen Ausdrucks an Stelle der
menschlichen Gestalt. Allerdings sind
Goethes Zeichnungen bei seinen Lebzeiten
zu wenig bekannt geworden, als daß die in
ihnen liegenden Keime auf fremdem Erd-
reich hätten aufgehen können.

Trotzdem hat Goethes Konzeption der
Ausdruckslandschaft das Kunstschaffen
seiner Zeitgenossen befruchtet. Das ge-
schah auf dem Umweg über Schrifttum und
persönliche Einflußnahme. Goethes natur-
wissenschaftliche Arbeiten, vor allem die
Farbenlehre, haben dabei eine nicht zu
unterschätzende Mittlerrolle gespielt.

Aus der Fülle, Reinheit und Tiefe des
Schauens hat Goethes Sprache ihre unver-
gleichliche Bildkraft bezogen. Diese Bild-
kraft enthält einen starken und oft bewähr-
ten Anreiz zum illustrativen Nachschaffen.
Abb. 2. Johann Rudolf Schellenberg, Der siihouettierstuhi. Tuschzeiehnung, Das inhaltliche Schwergewicht der Goethe-

gegen 1780. Wien, Lavater-Sammlung der Nationalbibliothek. SChen Dichtung wirkt sich in dd' Illustration

als gestaltbildende Macht entwicklungsgeschichtlich bedeutsam aus.

Die Kunst um Goethe. Das erste, was Goethe im Elternhaus an Kunst sah, waren Kupferstiche
aus Rom, wie sie sich die Reisenden zur Erinnerung mitzunehmen pflegten, und Malereien von
Frankfurter Lokalkünstlern. Weder das eine noch das andere konnte ihm einen Begriff von der
Wirkung bedeutender Kunstwerke geben. Ob er in den »Kunstkabinetten« der Frankfurter Sammler,
die er als Knabe besuchte, auf Meisterwerke alter Graphik gestoßen ist, wissen wir nicht. Sehr früh
aber äußert sich sein Naturgefühl auf den empfindsamen Spaziergängen, in denen er nach seiner
ersten Liebesenttäuschung Frieden suchte. Damals hat er mit dem Skizzenbuch in der Hand das
Rohmaterial für seine spätere Landschaftsgestaltung gesammelt.

Der alte Goethe hat auf seine Kindheitserinnerungen großen Wert gelegt. Aber selbst die
berühmte Episode des kunstfreundlichen Königsleutnants Thoranc ist nur für die Ursprünglichkeit
von Goethes Kunstinteresse aufschlußreich, nicht für seine spätere Richtung. Öser, der Mentor
seiner Leipziger Studienjahre, erscheint ihm trotz aller Anhänglichkeit später selbst »nebulistisch«.
Das modische Antikisieren des Malers hat nichts mit dem Griechenland zu tun, das der Dichter der
Iphigenie mit der Seele suchte. Die Anziehungskraft, die in der Dresdener Galerie die alten Holländer
und der handfeste Neapolitaner Domenico Feti auf den jungen Goethe ausübten, hatte ihren Grund
mehr in erzählerischen Reizen als in malerischen Werten. Kennzeichnend für seine damalige
Fremdheit gegenüber der klassischen Kunst ist die Tatsache, daß er sich bei seinem Aufenthalt
in Dresden das dortige Antikenkabinett nicht einmal angesehen hat. Man sieht: Goethes auto-
biographisches Material aus seiner Jugendgeschichte steht zu der Tiefe seiner reifen Kunst-
anschauungen in keinem rechten Verhältnis. Diese Unstimmigkeit erklärt sich aus der Erfahrungs-

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