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Schwinds Karikatur (Abb. 5) erscheint nicht sehr schlagend. Daß der Jurist ein Gegenstück
zur „Justitia" des Ständesaales abgibt, ist ein naheliegender Gedanke. Wie sie, führt er den
Schwörstab in der Rechten — aber nicht mit den erhobenen Schwurfingern, sondern mit ge-
ballter Faust. In der hochschnellenden Schale der Waage befinden sich Virgil, Hemer und
Horaz, von Flammen umgeben (?) — was in der sich senkenden Schale geschieht, ist unklar.

Wir schließen mit der Gestalt Karl Theodor W e 1 c k e r s (1790—1869),15 von dem Schwind,
wie wir sahen, ebenso wie von Itzstein voraussagen zu können glaubte, daß sie bald „als
lächerliche Personen dastehen" würden. Welckers Hauptzeit sollte freilich erst mit seiner be-
deutsamen Tätigkeit im Frankfurter Parlament kommen.

Rollenden Auges erhebt er, von vorn gesehen, beide Hände in und über Kopfhöhe, offen-
bar eine donnernde Philippika haltend. Den Erfolg kann er freilich nicht sehen: von den
beiden Sphinxfiguren, die den hinter ihm stehenden Sessel tragen, sperrt die eine den Mund
zu einem herzhaften Gähnen auf, die andere neigt das Haupt zu süßem Schlummer. Und
hinter ihm, auf der im Rund sich wölbenden Tribüne, geht es ähnlich zu: Gähnen, Sich-rekeln.
Schlafen wird in mehrfacher Abwandlung sehr lebenswahr dargestellt. Noch zu den Füßen
des Redenden, in dem unteren Kreissegment, scheint ein Vierfüßler, ein Hund wohl, der süßen
Ruhe des Schlafens zu pflegen. — Was die zwei Gegenstände unmittelbar über dem Kopfe
Welckers sein sollen, ist unklar.

Die ironische Umschrift „Sapientia" verweist auf die entsprechende „Tugend" des Stände-
saales, die ebenfalls den einen Fuß von dem Postament, auf dem sie sitzt, herunterstellt;
auch ihren Sessel stützen zwei Sphinxe.

Die Karikatur auf Welcker (Abb. 6) stellt die gelungenste unter den sechs Blättern dar;16
die komische Wirkung beruht wohl auf dem für jeden Betrachter deutlichen Gegensatz zwi-
schen dem gewaltigen Aufwand von Pathos und dessen von dem Redner selbst nicht be-
merktem Effekt des Einschläferns. Um diesen Gegensatz zu empfinden, braucht man nichts
von dem Dargestellten und auch nichts von den politischen Verhältnissen der Zeit zu wissen.

Wo eine solche Anknüpfung an Allgemein-Menschliches fehlt, hat es die Karikatur schwer,
sich verständlich zu machen, besonders für eine Zeit, die den zeitlichen Anlässen zu ihr ferner
gerückt ist. Die Attribute, die Anspielungen werden dann nicht mehr verstanden, und damit
entfällt das freudige Mitgehen des Betrachters. Wer genau mit den Dargestellten und mit
den politischen Zeitverhältnissen vertraut war, mochte sich ergötzen — für ein größeres
Publikum mußten die Blätter zum größten Teile stumm bleiben. Denn auch die künstlerische
Kraft reicht nicht aus, um etwa allgemein-menschliche Typen hinzustellen, denen eine un-
mittelbare Überzeugungskraft innewohnt. Das gilt nicht nur für Schwind, sondern für alle
deutschen Künstler dieser Zeit; ihr Versagen auf diesem Gebiete ist aber nicht Zufall, sondern
tief in der geistigen Haltung des Biedermeier begründet, dem ja freilich nicht alle Künstler
und alle Schöpfungen der nach ihm genannten Epoche innerlich angehören.17 Ätzende Kritik,
aktivistisch-leidenschaftliche Teilnahme an den Tagesereignissen ist nicht seine Sache. Man
stelle sich den Klassiker der Literatur des Biedeimeier, Adalbert Stifter, als Karikatu-
risten vor! Schwind hatte als Mensch sicher mehr Humor als Stifter — und unter Umständen
beißenden — aber zum politischen Karikaturisten taugte seine künstlerische Art durchaus
nicht, wie er ja offenbar selbst empfunden hat.

15 Badische Biographien a. a. O. II S. 440 f.

16 Wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, findet sich Gleiches oder Ähnliches in einer Karikatur
auf das Frankfurter Parlament — ohne daß ich Genaueres angeben kann.

17 Vgl. K. Simon, „Biedermeier in der bildenden Kunst". Deutsche Vierteljahrsschrift f. Literaturwiss. u.
Geistesgesch. XIII (1915) S. 61.

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