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gegeben. Vergleichende Rückblicke legen den Fort-
schritt in der Durchführung des Bildgedankens dar, am
Ende der jeweiligen Zeitgruppen werden ihre augen-
fälligen Stilmerkmale zusammengefaßt.

Im Gegensatz zum Vetter Annibale, der seit
1595 in der Weite römischer Atmosphäre der Monu-
mentalform des festlich dekorativen und dem fort-
wirkenden antikisierend-humanistischen Ideal der
Hochrenaissance verpflichtet wurde, blieben L o d o-
v i c o s Gemälde fast ausschließlich auf die Themen
der biblischen und Heiligen-Geschichte beschränkt.
Ausnahmen machen nur zwei Bildnisdarstellungen
(Taf. 38 u. 39) und die Fresken-Zyklen aus der antiken
Sage und Geschichte in den drei bolognesischen Adels-
palästen Fava, Magnani-Salem, und Sampieri-Talon
aus den Achtziger- und Neunzigerjahren. Im Aeneas-
Zyklus des Palazzo Fava bestehen noch Zusammen-
hänge mit den manieristischen Fresken Abbates. Bei
den zwei weiteren, wo die drei Verwandten sich in die
Ausschmückung eines Raumes teilten, kommt Bod-
mer hinsichtlich des Anteils Lodovicos zu einem von
der bisherigen Literatur (z. B. Tietze) abweichenden
Ergebnis, das er dann in einer Concordanztabelle im
Werkverzeichnis veranschaulicht.

Im Anschluß an die chronologische Werkbetrach-
tung werden in dem Abschnitt „die künstlerische Be-
deutung Lodovicos" Gesinnung, Geist und Wesenszüge
seiner Malerei besprochen. Sein Phantasiereichtum löst
das Bildgefüge aus dem starren Schema des Manieris-
mus, die Bewegung durchströmt Einzelgestalt und
Gruppen in immer wieder neuen, kunstvollen Rhyth-
men, läßt die Zweiteilung der irdischen Welt und himm-
lischen Sphäre auf vielen Bildern in hoheitsvollem Ge-
samtakkord zusammenklingen. Mit Recht bezeichnet
der Verfasser die Gemälde Lodovicos als „große An-
schauungsformen einer pathetisch gesteigerten Welt".
In mannigfachen Abstufungen wechseln religiöse Emp-
findung und Gläubigkeit auf den Gemälden, von ganz
zart verhaltener Innigkeit entrückter Vision in himm-
lischen Sphären (Scaizi-Madonna Taf. 22, Dominicus-
Madonna Taf. 23) bis zur eindringlich dramatischen
Pathetik der gegenreformatorischen Malerei, deren
werbende Kraft Lodovico eindringlich vertritt. Ein
Schlußabschnitt behandelt die Bewertung seiner
Malerei im Urteil der Jahrhunderte, von der steilen
Höhe des Ruhmes im 18. bis zur Vernachlässigung im
19. Jahrhundert (Nagler, Burckhardt). Das mit größter
Genauigkeit angelegte Werkregister ist eingeteilt nach
Fresken und Gemälden (die hier „San Bartolomeo al
Reno" bezeichnete Kirche Bolognas entspricht der
heutigen S. Maria della Pioggia), und auch ausgedehnt
auf heute nicht mehr nachweisbare Gemälde, die nur
noch aus der Literatur bekannt sind, sowie auf Werk-
stattarbeiten und falsche Zuschreibungen.

Für Forscher und Freunde der alten Zeichnung ist
der letzte Teil des Bandes, der den Handzeichnungen
des Meisters gewidmet ist, wichtig und hochwillkommen.

In langwieriger und mühevoller Forscherarbeit hat
Bodmer das zahlenmäßig gewaltige Material, das be-
sonders die großen Graphiksammlungen in England
und des Kontinents aus altem Besitz als „Carracci"
bergen — Zeichnungen der drei Carracci waren im
17. und 18. Jahrhundert von Kunstliebhabern höchst
begehrt — kritisch geprüft, falsche Zuschreibungen aus-
geschieden, sich vor allem über die zeichnerische Hand-
schrift jedes einzelnen der drei Künstler eine klare Vor-
stellung verschafft. Sein Buch bietet daher eine sichere
Rekonstruktion des zeichnerischen Stils
Lodovicos, die für die Carracci-Forschung und die
Kenntnis der frühbarocken Seicentozeichnung über-
haupt von größtem Wert ist. Ein nach Orten angelegtes
Verzeichnis führt 216 eigenhändige Blätter auf, von
denen 50 abgebildet sind. Zu Gemälden des Meisters
konnte Bodmer hier mehrfach bisher unerkannte Ent-
würfe feststellen. Ein Textabschnitt erörtert alle mit
der Zeichnung verbundenen Fragen. Als Angehöriger
der Münchener Sammlung möchte der Rez. darauf hin-
weisen, daß der von H. Weihrauch als „Pontormo" im
Münchener Jahrbuch, Neue Folge XII, S. XXIX,
Abb. 7 veröffentlichte große Knabenakt inzwischen von
E. Baumeister als Arbeit Lodovicos bestimmt
und von ihm als mögliche erste Modellstudie für das
Polyphem-Fresko im Palazzo Fava (Abb. des Stiches
von Mitelli bei Bodmer, S. 78) angesprochen wurde.
Der Autor hat sich inzwischen dieser Meinung brieflich
angeschlossen. Von den fünf bei Bartsch (Bd. 18, S. 23ff.)
angeführten Madonnenstichen Lodovicos nimmt Bod-
mer nur Nr. 1 und 4 als eigenhändig, hält dagegen Nr. 2,
3 und 5 für Schul Stiche nach Zeichnungen des Meisters.

Die Ausstattung des Buches in Druck und Güte der
Abbildungen verwirklicht vollkommen die vom Autor
beabsichtigte wissenschaftliche Ehrenrettung des ersten
Bologneser Seicentisten.

Die kunstgeschichtliche Forschung erhofft in nicht
zu ferner Zeit vom Autor ein gleich gründliches Werk
über den von j eher berühmteren Annibale Carracci.

Thomas Muchall-Viebroock

Ernst Sigismund: Christoph August
Kirsch, ein vergessener Maler des 18. Jahrhunderts.
Wolfgang Jus Verlag in Dresden.

Ein Künstlerleben, das vielversprechend ansetzt,
aber vorzeitig abbricht, schildert Ernst Sigismund in
dieser ersten Biographie des Dresdners Christoph
August Kirsch (geboren 24. Mai 1753, gestorben Castel
Madama 20. September 1787). Der begabte, humani-
stisch gebildete Jüngling besucht die Dresdener Aka-
demie als Schüler Carl Christian Klass' und Giovanni
Casanovas, hat früh mit seinen Zeichnungen und Ge-
mälden Erfolg und gilt als eine Hoffnung der deutschen
Kunst. Als er 1786 mit einem Stipendium des Königs
von Sachsen nach Rom zieht, kann er einen Auftrag
seiner Vaterstadt auf ein großes Altarbild für die wieder-
hergestellte Kreuzkirche mitnehmen. Aber bei den Vor.

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