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Glaser, Curt
Die Kunst Ostasiens: der Umkreis ihres Denkens und Gestaltens — Leipzig: Insel-Verl., 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.53086#0148
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Variationen verfolgt. Unwillkürlich drängt der Ver-
gleich mit der Fuge in der Musik sich auf. —
„Niemals berührten die alten Meister mit dem Pinsel
die Seide, wenn sie nicht von einer Idee beherrscht
waren.“1 Und Kuo Jo-hsü rühmt die Alten, weil sie
weltlichen Ruhm und Reichtum verachteten und in
der Zurückgezogenheit lebten. „Wenn der Künstler
ein edler Mensch ist, werden auch seine Werke von
Ch’i-yün durchdrungen sein, und notwendig wird
Sheng-tung folgen, das heißt Lebendigkeit.“ Denn
auch diese ist eine andere jetzt, nicht äußere Bewegt-
heit, sondern jenes Leben, das von innerer Beseeltheit
zeugt.
Ch’i-yün wird auf den Schöpfer des Werkes selbst
bezogen. Seine Seele gibt sich in intuitiven Äußerun-
gen kund. Das Bild ist der „Siegel der Seele“.2 Wie
der Abdruck dem Siegel, so entspricht das Bild der
Seele seines Schöpfers. Sheng-tung aber ist die äußere
Realisierung von Ch’i-yün. In dem Lebensodem des
Bildes offenbart sich die Seele des Meisters.
Die Gemälde des Wang Wei, der als der Vater der
neuen Landschaftsmalerei gelten kann, „waren voll
tiefer Bedeutung und wetteiferten mit der Natur selbst,
so daß seine Ideen in das Reich jenseits der Grenzen
der Sterblichkeit hinabführten.“ 3
Das reine Gefühl ist das Jenseits der Kunst. In ihm
löst sich alle Individuation des einzelnen Seins in ein
Allgemeines, der Sonderfall verschwindet, und es
bleibt seine tiefere Bedeutung. So offenbart sich das

1 Giles S. 147. — 2 Kokka XXI, 69. 1910. — 3 Giles S. 50.
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