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Glaser, Curt
Die Kunst Ostasiens: der Umkreis ihres Denkens und Gestaltens — Leipzig: Insel-Verl., 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.53086#0286
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Er versucht nicht, sich über sie zu erheben. Der
Dichter gibt ein paar Zeichen nur, und das Geheim-
nis wird offenbar. So der Maler. Er bildet nicht ab,
aus Freude an dem schönen Schein der Dinge, der
Oberfläche einer Blume, einer Landschaft, eines Men-
schen. Er sucht nicht hinter den Dingen ihren seeli-
schen Gehalt. Alles ist ihm tief bedeutungsvoll. Seine
Kunst ist immer Inhalt, ein Inhalt aber, der niemals
sich in Worten fassen läßt, so wenig man noch ein-
mal in trockener Prosa den Zauber eines lyrischen Ge-
dichtes zu umschreiben vermag.
Die Form des Kunstgenusses ist mystische Versen-
kung. Und die Tee-Zeremonie, deren ursprünglicher
Sinn es ist, den Geist empfänglich zu stimmen zur
Kontemplation, ist der rechte Ort solchen Schauens,
das hinabsteigt zur Seele des Bildes.
Die Kunst Ostasiens hat nicht die Weite der Ent-
wicklung durchmessen wie die Kunst Europas. An
Ausdrucksmöglichkeiten ist ihr der Westen weit über-
legen. Weder einen Michelangelo noch einen Rem-
brandt hat der Osten gezeugt. Das inetaphysische Ele-
ment, das der Kunst dieser Großen zugrunde liegt,
blieb dem Ostasiaten verschlossen. Aber ihm ist das
Diesseits als solches bedeutungslos geworden, und
unmittelbar sieht er in ihm das Jenseits sich offen-
baren. Er schaut die Kräfte, und nicht den Raum,
wie Laotse sagt. Der einfache Vogel auf einem Zweige
wird zum Symbol, in dem sich dem Schauenden ein
Ewiges kundtut.
So ist die Kunst der Ostasiaten primitiv, verglichen
mit der Kunst des Westens, die auf vielen Wegen das
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