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Plotin gipfelt sein Bekenntnis in der Anschauung, daß sich der
Künstler selbst zum Geist (logos) dessen erhebe, was er wahrnimmt
und aus sich selbst das dem Urbild Fehlende schöpft. Das Schöne
darin nennt er den Strahl, der gleichsam aus dem Gedanken hervor-
bricht (Enn. VI. 2. 18). In der Natur liegt aber die Form der sinn-
lich erscheinenden Schönheit, das im Begriff erfaßte Urschöne.
(Enn. V. 8. 1.)
IX
Aus der griechischen Philosophie haben wir also drei grundlegende
Anschauungen über Schönheit und Kunst, die auf die sittlichen
Begriffe von größtem Einfluß waren und die sich bis zur Gegen-
wart fortpflanzten, von Philosophen mannigfachster Denkart in ver-
schiedenen Schattierungen vertreten.
Schiller hat eine merkwürdige Synthese dieser Anschauungskreise
versucht. Was jeder Kreis an richtigem Empfinden oder Ahnen
besaß, wußte er aufzunehmen und hat schließlich verstanden, die
Lehre Plotins so zu bereichern und zu vertiefen, daß man sie in
das praktische Leben übertragen kann.
Unbewußt blieb der Schönheitsglaube stets ein wichtiger Faktor
menschlichen Denkens und die von Plotin gebrachte Auffassung,
daß Kunst und Schönheit unzertrennlich seien, trat noch oft mit
großer Bestimmtheit hervor.
Viele jedoch, sofern sie sich über diese Dinge Rechenschaft geben,
hängen den anderen Anschauungen an, die schon im Griechentum
ihre Vertreter hatten.
Sie betrachten die Kunstschönheit als rein sinnlich wohlgefällig,
gönnen sie reichen Liebhabern sowie dem Gemüt von Knaben und
Frauen als Spielzeug oder sie sehen überhaupt das Wohlgefallen
an solcher Schönheit als verwerflichen Luxus an. Vom streng reli-
giösen oder sozialen Standpunkt aus dünkt es ihnen nur eine ver-
derbliche Zerstreuung, die von anderen Idealen, von der Wissenschaft
oder Tugend ablenkt.
Oder sie gestehen der Kunstschönheit einen gewissen pädagogischen
Wert zu, allerdings nur äußerlich.
Dieses letzte Zugeständnis blieb durch die Jahrhunderte des Mittel-
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