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Sehr wichtige Modeworte, die zum Anfang des 17. Jahrhunderts
besonders in Wirkung traten, nehmen ihren Weg von Italien aus
nach Spanien und Frankreich.
Der spanische Jesuit Balthasar Gracian steckte die Kunst geistreich
zu denken und zu schreiben, den estilo culto, in die Panzerkette
der Regel, und gab die Anleitung dazu in dem Werk: La agudeza,
y arte de ingenio (1642).
Jene Begriffe, die also eingezwängt ihre Freiheit verloren, hießen
ingegno, belli ingegni, gusto, immaginazione, fantasia und senti-
mento. Aus diesen Worten und den damit verbundenen Gedanken-
reihen baute sich allmählich eine neue Gefühlswelt auf, in der
wir unsere eigene, moderne Welt erkennen, so daß es sich lohnt,
das Schicksal dieser Worte bis zum Ursprung zu verfolgen.
Ingegno — von ingenium (schöpferische Begabung des Geistes) ab-
geleitet — tritt zuerst auf als Ergänzung, dann als Gegensatz zu
dem Begriff des Intellekts, der Denkkraft und gehört ursprünglich
zum Rüstzeug der Rhetorik.
Die Rhetorik soll fesseln, blenden, hinreißen, unterhalten, statt wie
die strenge Dialektik nur ernst und schmucklos überzeugen. Des-
halb gehört zum Werkzeug des Redners die überlegte, feine, ele-
gante Kunst des Ingegno. Diesen Begriff bezeichneten die Franzosen
später mit Esprit und reiften ihn in Sprache wie Denkart zur höchsten
Vollendung. Zu Trägern dieses umgewandelten ingegno wurden in der
Blütezeit feingeistiger Kultur die Schöngeister oder beaux esprits.
Wer in der Welt des 17. und 18. Jahrhunderts Beachtung finden
wollte, bedurfte jenes leichten Geistes, den das Klima der Zeit er-
blühen ließ. Die deutsche Sprache besitzt keinen Ausdruck, der
das Wort esprit vollständig wiedergibt. Er ist dem Wesen der
germanischen Rasse fremd. Scharf sehen, hell sehen, nichts ver-
wischen und nirgends verweilen, sind die Gebote des Esprit.
Sobald man verweilt, verschieben sich die Begriffe. Das Wahre
und Hindeutende des unmittelbaren, vorurteilslosen Erfassens und
Auffassens geht verloren. Das Blitzartige eines Einfalls verfliegt,
wie die Blume eines Weines, den ein Chemiker analysiert. In der
scharfsinnigen Eile liegt der glänzende Reichtum des Esprit, aber
auch seine Armut.

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