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Gleichen-Rußwurm, Alexander
Die Schönheit: ein Buch der Sehnsucht — Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.65310#0120
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Gentleman zu sein, weil er sein neues ästhetisches Ideal mit diesem
Ausdruck bezeichnet.
Das Wort gentle — italienisch gentile, woher gentil donna, eine
Dame von Stand, altfranzösisch gentille dame kommt —, hatte den
Sinn vornehmer, anmutsvoller und sanfter Art. Im Mittelhoch-
deutschen wurde derselbe Begriff durch das schöne, heute seiner
Würde entkleidete Wort Milde bezeichnet. Er hat sich in der eng-
lischen Sprache in dem vieldeutigen Wort gentleman erhalten. Dies
ist kein Adelsprädikat, kein engumgrenztes Lob, wie edler Mann
oder guter Mann, es galt seit Shaftesbury als ästhetisches Wert-
zeichen. Ein guter Mann kann etwa irgend eine Häßlichkeit be-
gehen, sie bereuen und nach wie vor ein guter Mann sein. Ein
gentleman kann nichts Häßliches begehen, es kann ihm nicht
einfallen, in dem Sinn nicht, in dem es Leuten von Welt
nicht einfallen kann, sich zu irgend einer Gelegenheit falsch zu
kleiden.
Dieses Ideal des gentleman enthält für Shaftesbury die Quintessenz
der Bildung. Der Gebildete ist the finest gentleman. Ein anderes-
mal definiert der Philosoph seinen idealen Weltmann als virtuoso,
als einen, der so von Kunstgeschmack durchdrungen ist, daß er
den feinen Takt, der dazu gehört, in Dingen der Kunst richtig zu
urteilen, auch auf die zarten Fragen der Ethik überträgt und die
Glückseligkeit, die für den rechten Liebhaber im Ausüben der
Kunst liegt, auch beim Ausüben der Tugend empfindet.
Damit hat Shaftesbury unbewußt sein Selbstporträt geliefert. Ihm
selbst, dem kränklichen und mannigfach enttäuschten Mann, der früh
eines langsamen, schweren Todes sterben mußte, war die Philosophie
eine Schule der Glückseligkeit und Güte. Mit gelassener Heiter-
keit trat er allen Anfechtungen gegenüber auf; keine Enttäuschung
konnte ihn davon abbringen, ein zartfühlender Gönner alles Guten
und ein selbstloser Freund zu bleiben.
Er steht in einem stark ausgeprägten Gegensatz zu der materiellen
Weisheit eines Bacon und zu den Ideen, die Locke zu verkünden
begann. Für Shaftesbury ist die rechte Philosophie keine Speku-
lation über Dinge, die mit dem Leben nicht in Zusammenhang zu
bringen sind. Darum belächelt er die Definitionen des Descartes,
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