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Gleichen-Rußwurm, Alexander
Die Schönheit: ein Buch der Sehnsucht — Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.65310#0145
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Schon Plotin hatte Begrenzung als unerläßlich für das Schöne er-
kannt und das Häßliche dahin erklärt, daß es jenseits von Maß,
Form und Begrenzung stehe.
Lessing nahm praktisch diesen Gedanken wieder auf und verfocht
ihn energisch gegen Kunstphilosophen, die ähnlich, wenn auch mit
anderem Rotwelsch wie heute, alle Begriffe durcheinander warfen.
Der Satz des Lodovico Dolce, daß ein guter Dichter auch ein guter
Maler sein müsse, war sehr grob aufgefaßt worden. Addison und
Spence verwirrten diese Begriffe einigermaßen, in Frankreich gab
Graf Caylus die damals moderne Richtung ähnlich an.
Daß Lessing im Laokoon eifrig streng dagegen auftrat, geschah
nicht nur aus Ungeduld, weil einige Maler im Bestreben, dichten
zu wollen, schlecht malten, und einige Dichter im Bestreben, zu
malen, Geschmacklosigkeiten begingen. Er sprach die wichtige
philosophische Überzeugung aus, daß nur Klares schön sein könne
und ein geschulter Geist nur an entwirrten Dingen Vollkommen-
heiten erkenne.
Aus Goethes Wahrheit und Dichtung geht die Wirkung deutlich
hervor, die der Laokoon auf die literarische Jugend ausübte und in
Schillers Betrachtung über Anmut und Würde erweitert sich, was
Lessing mit dem Ausdruck Schönheit in der Bewegung anklingen
ließ. Was im Laokoon noch allzu schroff und einseitig betont war,
wurde abgeschliffen im Verkehr mit Mendelssohn, dem deutschen
Sokrates. Lessings innere Unzufriedenheit wich nun einer großen,
auf antike Vorbilder gestimmten Weltanschauung. Er sann darüber
nach, was erhaben und schön sei und was die Grenze zwischen
beiden Empfindungen ausmache.
Da karn er auf den Unterschied: Alle angenehmen Begriffe sind
undeutliche Vorstellungen einer Vollkommenheit. . .. Die Vollkommen-
heit ist die Einheit im Mannigfaltigen. . . . Bei der unendlichen Vor-
stellung der Einheit im Mannigfaltigen ist entweder der Begriff der
Einheit oder der Begriff der Mannigfaltigkeit der klarste. . . . Die
undeutliche Vorstellung einer Vollkommenheit, in welcher der Begriff
der Einheit der klarste ist, nennen wir schön.
Alle diese Aussprüche fließen im Grund aus einer Anschauung, die
annimmt, daß der Mensch und nur der Mensch einem Ideal zustrebt.
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