wichtig zu belächeln, wenn nicht die Gesinnung, die ihnen zu Grund
liegt, auf einen für das Seelenleben verhängnisvollen Irrtum zurück-
zuführen wäre.
Sonst hätten sich die ernstesten, größten Denker Deutschlands nicht
so eifrig, so geduldig, so feurig mit diesen Fragen beschäftigt.
Freilich hofft Lessing nur von Wenigen Verständnis und beruft sich
wie der griechische Weise auf das Kriterium der Besten: Lassen Sie
uns nur diejenigen Fälle untersuchen, wo die besseren Menschen
Menschen von Empfindung und Einsicht bewundern. Denn des
Pöbels Fähigkeiten sind so gering, seine Tugenden so mäßig, daß
er beide nur in einem leidlichen Grad entdecken darf, wenn er be-
wundern soll. Und weiter: Mit dem größten Teil der Leute muß
man zufrieden sein, wenn durch die Gewalt der Sinne ihr schweres
und kaltes Herz in diejenige Bewegung versetzt wird, die der Dichter
zur Absicht hatte.
Die Bewegung, in die Lessing durch seine Kunst setzen wollte,
war das große tragische Mitleid, das nur von schönen Gegenständen
ausgehen kann. Das Mitleid nützt sich ab, wenn es sich nicht in
Bewunderung erholen kann.
Nicht nur gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen,
soll uns die Tragödie lehren, sondern sie soll uns soweit fähig zu
fühlen machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten und unter
allen Gestalten rühren und für sich einnehmen muß. Der mitleidigste
Mensch ist der beste Mensch, am ehesten aufgelegt zu allen gesell-
schaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut. Wer uns also
mitleidig stimmt, macht uns besser und tugendhafter.
Bei diesem Gedankengang meint Lessing das ästhetische Mitleid,
denn nur dieses kann bessern und erheben.
Unsere sogenannten guten Gefühle, wie Mitleid und Beileid, sind
bedenklich gemischt, sobald sie sich von ästhetischer Tugend ent-
fernen. Ihr Hauptbestandteil ist Neugierde und Sensationslust, der
sich leicht Schadenfreude gesellt. Daß die Stoiker (und später
Nietzsche) das Mitleid mit Verdacht ansehen, geschieht aus diesem
Grund, weil es eben bei vielen Menschen gewöhnlicher Art auftritt
und nicht aus reiner Tugend besteht, sondern aus der Neugier, wie
sich wohl der Bemitleidete oder mit Beileid Bedachte benehmen
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liegt, auf einen für das Seelenleben verhängnisvollen Irrtum zurück-
zuführen wäre.
Sonst hätten sich die ernstesten, größten Denker Deutschlands nicht
so eifrig, so geduldig, so feurig mit diesen Fragen beschäftigt.
Freilich hofft Lessing nur von Wenigen Verständnis und beruft sich
wie der griechische Weise auf das Kriterium der Besten: Lassen Sie
uns nur diejenigen Fälle untersuchen, wo die besseren Menschen
Menschen von Empfindung und Einsicht bewundern. Denn des
Pöbels Fähigkeiten sind so gering, seine Tugenden so mäßig, daß
er beide nur in einem leidlichen Grad entdecken darf, wenn er be-
wundern soll. Und weiter: Mit dem größten Teil der Leute muß
man zufrieden sein, wenn durch die Gewalt der Sinne ihr schweres
und kaltes Herz in diejenige Bewegung versetzt wird, die der Dichter
zur Absicht hatte.
Die Bewegung, in die Lessing durch seine Kunst setzen wollte,
war das große tragische Mitleid, das nur von schönen Gegenständen
ausgehen kann. Das Mitleid nützt sich ab, wenn es sich nicht in
Bewunderung erholen kann.
Nicht nur gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen,
soll uns die Tragödie lehren, sondern sie soll uns soweit fähig zu
fühlen machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten und unter
allen Gestalten rühren und für sich einnehmen muß. Der mitleidigste
Mensch ist der beste Mensch, am ehesten aufgelegt zu allen gesell-
schaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmut. Wer uns also
mitleidig stimmt, macht uns besser und tugendhafter.
Bei diesem Gedankengang meint Lessing das ästhetische Mitleid,
denn nur dieses kann bessern und erheben.
Unsere sogenannten guten Gefühle, wie Mitleid und Beileid, sind
bedenklich gemischt, sobald sie sich von ästhetischer Tugend ent-
fernen. Ihr Hauptbestandteil ist Neugierde und Sensationslust, der
sich leicht Schadenfreude gesellt. Daß die Stoiker (und später
Nietzsche) das Mitleid mit Verdacht ansehen, geschieht aus diesem
Grund, weil es eben bei vielen Menschen gewöhnlicher Art auftritt
und nicht aus reiner Tugend besteht, sondern aus der Neugier, wie
sich wohl der Bemitleidete oder mit Beileid Bedachte benehmen
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