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wir verbreitet und anerkannt zu sehen wünschen, die im Einklang
stehen mit der Lebenstätigkeit.
In dem witzig-moralischen Büchlein Die Abderiten, das Wieland im
Jahr 1774 erscheinen ließ, faßt er den Schönheitsgedanken seines
Jahrhunderts, wie er Kunstansicht und Lebensanschauung durch an-
mutige Gelehrsamkeit vereinen sollte, in den Worten zusammen:
Die Bildung des Geschmacks, d. i. eines feinen, richtigen und ge-
lehrten Gefühls alles Schönen, ist die beste Grundlage zu jener be-
rühmten sokratischen Kalokagathie oder innerlichen Schönheit und
Güte der Seele, welche den liebenswürdigen, edelmütigen, wohltätigen
und glücklichen Menschen macht. Und nichts ist geschickter, dieses
richtige Gefühl des Schönen in uns zu bilden, als wenn Alles, was
wir von Kindheit an sehen und hören, schön ist.
Die Gefahr, die in dem durch die Gesamtliteratur angeregten Über-
eifer lag, alles ästhetisch-kritisch zu betrachten, erweckte die Spott-
sucht satirisch gesinnter Geister. Johann Christoph Lichtenberg
geht den Winckelmann, Lessing, Wieland und deren Nachbetern mit
liebenswürdigem Humor zu Leibe und beschreibt die Coeurdame
auf dem Kartenspiel nach Art der berühmtesten ästhetisch-moralischen
Kritiker. Er schließt seinen Scherz: In der ganzen Cceurdame finden
wir auch nicht die flüchtigste Spur des Genies, das durch einen
einzigen Zug uns nötigt, Leinewand für unseren Nächsten zu halten,
seinem stummen Seufzer uns entgegen zu erbarmen und bei seinen
gemalten Tränen das höchste Geschenk des gefühlvollen Menschen,
lebendige Tränen zu weinen.

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