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schwebten, ihr Antlitz abgekehrt von dem allgemeinen Wirrsal und
das Ohr geschlossen vor dem allgemeinen Geschwätz, in ihr
Wolkenreich.
Sie waren keine Tagespolitiker, sie warfen sich nicht in die Brust,
sie fluchten keinem Feind, und wenn Schiller den Deutschen ihren
Tag herbeiwünschte und ihn prophezeite, geschah es in ganz an-
derem Sinn, als mancher seiner Landsleute meinte. Ihr Tag sollte
nicht ein Tag der Unterdrückung für andere sein, ein Tag der Rache
oder des Hochmuts, sondern ein Tag bestverstandener Freiheit, ein
Tag, an dem deutschem Gemüt Recht werden sollte und die
Schönheitssehnsucht sich erfüllen, ein Tag, an dem die unsichtbare
Bastille jeder ungerechten Macht stürzen und Menschenwürde auf
den Thron der Welt erhoben werden müsse.
Stolz flüchteten beide Freunde in ihren ästhetischen Himmel, aber
sie wußten, daß weder dem eigenen Volk noch irgend einem an-
deren Volk wahres Heil erblühen könne, ehe sich über die ganze
Erde ein ästhetischer Himmel wölbt. An der civitas dei für alle
Völker zu arbeiten, Edelsteine herbeizutragen und lichtes Gold
erkannten sie als ihre Pflicht, indessen ihnen die Kleinen um sie
herum Flucht vorwarfen.
Noch heute wird Goethe um den hehren Blick seiner Gelassenheit
gescholten und man fand sich bemüßigt, Schiller zu entschuldigen,
daß er nicht ausschließlich vaterländische Stoffe gewählt, sondern
frei nach Schönheit suchend den Genius in alle Lande schweifen
ließ, als ob nicht gerade diese Freiheit, diese Liebe, diese Gelassen-
heit die stolzesten Gaben wären, die große Geister ihrem Vater-
land schenken.
Kann der Mensch bestimmt sein über irgend einen Zweck,
sich selbst zu versäumen? (Schiller). Und kann ein Volk, ein
Staat, irgend eine menschliche, menschenwürdige Gemeinschaft
dazu bestimmt sein? Menschenwürde, die allein ein starker
Schönheitsglaube errichtet und verbürgt, ist die einzige Möglich-
keit der Verbrüderung, der Freiheit und in gewissem Sinn der
Gleichheit.
Denn nur wenn unter den verschiedensten, vor verschiedenste Auf-
gaben gestellten Menschen jeder seiner Würde bewußt lebt und
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