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Bei einem großen Dichter muß der Sinn für die Schönheit alle andere
Betrachtung weise besiegen oder vielmehr aufheben. . . . Ich habe
nicht die geringste Empfindung der Demut dem Publikum oder irgend
einer anderen Macht gegenüber. Ehrfurcht hege ich nur vor dem
ewig Göttlichen, vor der Schönheit und vor dem Andenken an große
Menschen *). Er bekennt, daß er sich nur vor dem Urwesen ewiger
Schönheit beuge und vor dem Andenken menschlicher Größe. Dieses
männliche Bekenntnis des Jünglings ist beachtenswert, denn gemeine
Menschenfurcht schafft gemeine Götterfurcht und führt zum Ver-
leugnen des Schönen.
Gemeine Menschenfurcht und Götterfurcht lassen uns für echte Ideale
Surrogate erfinden.
Damit war die Philisterwelt jener Zeit bereits eifrig und grund-
legend beschäftigt.
Mit stolzer Gelassenheit verachteten unsere Klassiker die nationalen
Schranken als Werke menschlicher Torheit. Die Romantiker wollten
jene häßlichen kalten Schranken schmelzen mit ihrer begeisterten
Glut, die besten unter ihnen betrachteten sie wie die grausam er-
dachten Eispaläste böser nordischer Königinnen, deren Pracht nur
zur Qual dienen kann. Sie träumten von einem Völkerlenz, von
einer Erlösung aller Völker aus den Banden aller Tyranneien, wie
verschieden je nach dem besonderen Volk die besondere Tyrannei,
unter der es schmachtete, sich gestaltet haben mochte. Denn wir
schaffen unsere Tyrannen selbst wie unsere blutigen grotesken Götzen,
mit eigenen Händen schnitzen und bemalen wir diese, um vor ihnen
knien und ihnen Menschenopfer bringen zu können.
Den eigenen Irrglauben gilt es zu bekämpfen, die eigene Feigheit
und Torheit.
Mit hehrer Gewalt kündet dies ein Shelley in seinen Dichtungen.
Ihre tiefste Bedeutung kann erst erfaßt werden, wenn wir verstehen
lernen, daß Shelley zu den Gnostikern gehörte und sich zu deren
Glauben bekannt hat, zu jenem Glauben, der die edelsten Häretiker,
*) With a great poet the sense of beauty overcomes every other conside-
ration or rather obliterates every other consideration. ... I have not the
slightest feeling of humility towards the public or to anything in existence
but the Eternal being, the Principle of Beauty and the memory of great men.
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