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Gleichen-Rußwurm, Alexander
Die Schönheit: ein Buch der Sehnsucht — Stuttgart: Verlag Julius Hoffmann, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.65310#0236
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So waren Hegels Vorlesungen über Ästhetik eine imposante Leichen-
rede der Kunst.
Als Jünglingsalter der Menschheit galt ihm das Griechentum, das
die natürliche Individualität zur freien und dadurch zur schönen
Entwicklung gestaltete.
Der Gang der Freiheit muß aber fortschreiten bis in die innersten
Tiefen des Geistes und der Wahrheit. Doch die griechische Frei-
heit geht nicht so weit, sie reicht nur bis zur Schönheit. Sobald
dies Ziel erreicht ist, hat der griechische Geist seine Aufgabe
gelöst.
Wie die Weltgeschichte den Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit
mit sich bringt, auf die alle Schönheit sich gründet, so zeigt sie
auch den Fortsdiritt im Bewußtsein des Ideals oder des Kunst-
bewußtseins. Hegel nennt die Entwicklungsstufen Kunstformen; die
Elemente des Ideals sind nach ihm die Idee und die Erscheinung.
Von der Erscheinung des Ideals in der menschlichen Gestalt, dem
Typus der klassischen Kunstform, schrieb er: Dies Personifizieren
und Vermenschlichen hat man zwar häufig als eine Degradation des
Geistigen verleumdet, die Kunst aber, insofern sie das Geistige in
sinnlicher Weise zur Anschauung zu bringen hat, muß bis zu dieser
Vermenschlichung fortgehen, da der Geist nur in seinem Leibe in
gemäßer Art sinnlich erscheint. Die Seelenwanderung ist in dieser
Beziehung eine abstrakte Vorstellung, und die Physiologie müßte es
zu einem ihrer Grundsätze machen, daß die Lebendigkeit notwendig
in ihrer Entwicklung zur Gestalt des Menschen fortzugehen habe,
als der einzig für den Geist gemäßen sinnlichen Erscheinung.
Wie sich im Reich der Kunst die Idee zu ihrer Gestalt verhält,
drücken drei Arten der Kunstform aus, die symbolische, die klassi-
sche und die romantische. Im Erstreben, Erreichen und Überschreiten
des Ideals als der wahren Idee des Schönen bestehen sie.
Das Ideal aber ist für Hegel die aus dem Geist geborene und
wiedergeborene Schönheit.
Indem nun das klassische Ideal wesentlich erst durch Umbildung des
Früheren zustande kommt, so ist die nächste Seite die, daß es aus
dem Geiste erzeugt ist und deshalb in dem Innersten und Eigensten
der Dichter und Künstler seinen Ursprung gefunden hat.
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