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Nachahmern gar nicht nachzumachen, so entspringt dies aus der
Gesinnung, die ihn bei seinen Schöpfungen beseelte, so daß in seiner
Hand die low arts, das Kunstgewerbe, ethisch gehoben wurde und
jeder bescheidenste, dem mäßig Bemittelten zugängliche Wand-
schmuck etwas Hohes und Großes in die kleine Wohnung
brachte.
Gerade hier läßt sich am klarsten der Zusammenhang zwischen
Kunst und Leben beobachten.
Ein Beispiel: Das Muster einer Morris-Tapete heißt marigold. Dies
ist der Name für unsere bekannte Bauernschön, die gewöhnliche
sattgelbe Ringelblume. An ihr zeigt Morris, was Wordsworth meinte,
als er the meanest flower that blows rührend pries. Hätte Morris
diese Ringelblume naturalistisch aufgefaßt über seine Tapete ver-
streut, der Blick wäre unruhig geworden, bald gelangweilt durch
die äußere Erscheinung der ewig wiederkehrenden Ringelblume.
Aber ein Morris verfährt anders der Natur und der Kunst und dem
Leben gegenüber. Es kommt ihm zugut, daß ihm die langgehegte
traditionelle Liebhaberei Englands für die Blumen im Blute steckt.
Er versteht die anspruchslose Blüte so innig, daß er in Gedanken
bis zu ihrer Urform — man könnte sagen bis zur platonischen Idee
ihrer Schönheit — dringen kann. Diese gewonnene Erkenntnis ver-
schmilzt er mit dem ernst erfaßten Zweck, dem sie dienen soll.
Nicht irgend einem Prahlen und Prunken. Mit unaufdringlicher Ele-
ganz, abgetönt, einfach in Mannigfaltigkeit soll die stilisierte Pflanze
Aug und Sinn mit angenehmem Spiel begegnen und die Gedanken
sanft einladen zu der Ruhe glücklichen Spiels.
Bewohnt etwa ein Kranker oder Trauriger die möglicherweise düstere
großstädtische Stube, die marigold schmückt, so irrt sein Blick viel-
leicht zuerst zerstreut an ihren Blättern und Blumen auf und nieder.
Dann haftet er länger, liebevoller. Das Gemüt wird angezogen,
zum Sinnen gereizt. Was eine aufdringlich abkonterfeite Ringel-
blume niemals vermocht hätte, vermag die in ihrer platonischen Idee
aufgefaßte, traumhaft angedeutete Blüte. Sie bemächtigt sich liebe-
voll der irrenden, schmerzenden Gedanken. Wie ein Himmelsgold
macht sie plötzlich die düstere Stube freundlich. Der Kranke oder
Traurige erinnert sich immer bestimmter der Gärten seiner Kind-
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