Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Gockel, Bettina; Gainsborough, Thomas [Editor]
Kunst und Politik der Farbe: Gainsboroughs Portraitmalerei — Berlin, 1999

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.37701#0051
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DER MALER UND SEIN MATERIAL

2. DER MALER UND SEIN MATERIAL'
»(...) Gainsborough; a great name his, wether of
the English or any other School. The greatest co-
lourist since Rubens, and at last, I think, of legi-
timate colourists; that is to say of those who were
fully acquainted with the power of their materi-
al^...).«" (Ruskin)
Der englische Streit um die Behandlung der Farbe im
Porträt verhandelte ästhetische Standpunkte, die von
der französischen >Querelle de coloris<, dem Streit der
Poussinisten und Rubenisten, her vertraut sindd Für
Zeitgenossen lag es nahe, insbesondere Gainsboroughs
Farbbehandlung schon früh, nämlich zuerst 1760, mit
der Peter Paul Rubens' (1577-1649) zu vergleichen/
Auch John Ruskin (1819-1900) hielt Gainsborough für
den letzten großen Koloristen seit Rubens. Reynolds'
Darstellungsweise ließ sich dagegen nicht ohne weite-
res mit der Nicolas Poussins (1595-1665) vergleichen,
auch wenn man im Hinblick auf die 1770er Jahre, Rey-
nolds' »klassische« Phase, die Rivalität zwischen den
beiden Malern mit einem Streit um das Primat von Far-
be oder Linie richtig beschreiben würde. Reynolds'
Bewußtsein über die Historiziät des von ihm vertrete-
nen idealistischen Kunstentwurfs und sein Versuch,

^ Die folgende Untersuchung verdankt den Veröffentlichungen
von David Bomford, Rica Jones, Viola Pemberton-Pigott,
Ashok Roy, David Saunders und M. Kirby Talley, Jr. beson-
dere Anregungen. Aufsätze und Katalogbeiträge dieser Re-
stauratoren werden im folgenden zitiert. Lehrreiche Einfüh-
rungen in das faszinierende Gebiet der Maimaterialien, die
Maler des 18. Jahrhunderts verwendeten, gab mir Rica Jones,
Conservation Department der Tate Gallery. Sie nahm sich
auch die Zeit, mir u.a. Querschnitte aus Gemälden von
Gainsborough, Hogarth, Hayman und Reynolds zu zeigen
und diese mit mir zu besprechen. Rica Jones hat am Yale
Center for Studies m British Art eine Studie zu Gainsbo-
roughs Frühwerk durchgeführt (vgh JONES 1997). Ihre Stu-
die zeigt, daß Gainsboroughs späterer experimenteller Um-
gang mit Pigmentmischungen und Malmatnahen sich bis m
das Frühwerk zurückverfolgen läßt, was die Kontinuität sei-
nes Anliegens belegt. Inspirierend waren auch die Gespräche
mit Sophie Crombie, die u.a. für die National Portrait Galle-
ry, London arbeitet. Ausführliche restauratorische Studien
zu Reynolds werden derzeit in der Tate Gallery von Joyce
Townsend durchgeführt.
^ RUSKIN 1892, S.91.
^ Vgl. IMDAFIL 1988, Kapitel 5: »Poussinisten-Rubenisten.
Zur Relativierung ihres Streits«.
^ Mrs. Delany berichtete in einem Brief vom 13. Oktober 1760
über einen Besuch im Atelier Gainsboroughs in Bath: »(...)
Mr. Gainsboroughs pictures (...) may well be called what Mr.
Webb [Daniel Webb] unjustly says of Rubens, >they are
splendid impositions< (...).« (Zit. nach LINDSAY 1982, S.53).
^ In der >Querelle de coloris< wurden Positionen bezogen, die
denen der >Querelle des Anciens et des Modernes< in groben

diesen in ein modernes Zeitalter hinüberzuretten, ver-
langte und erlaubte ein komplexeres Vorgehen. Sein
Umgang mit Farbe und Farbmaterial zeichnete sich da-
durch aus, daß er die Bildwirkung von Gemälden Alter
Meister zu zitieren suchte oder mitunter auch Materi-
aleffekte antiker Kunstwerke in die Malerei überführte.
Treffender und zugleich allgemeiner sprach daher
Henry Bäte die beiden Künstler als Protagonisten eines
Antike-Moderne-Streits^ an:
»Gainsboro' by art unkown to Ancient Greece,
And subtle strokes no Roman brush could measure,
With bold, deep tints soon stamped a single piece
Which taste in every clime must own a TREASURE.«^
Eine »feine« Pinselführung und »kühne Farbtöne«
machten Gainsborough m den Augen seiner Zeitge-
nossen zum >modernen< Maler, was für die einen Lob,
für die anderen Tadel bedeutete/ Seine gattungstrans-
zendierende Farbbehandlung und Malweise standen
der akademischen Ordnung gattungsspezifischer bild-
nerischer Mittel entgegen. Scharfe Kritik an der Dar-
stellungsweise seiner Porträts war die Folge.
1777 hieß es im Gebern/A/vcuAcr, Gainsborough
treibe seine funkelnde Pinselschrift oft bis zur Fehler-
haftigkeit/ Daß der Maler an den Regeln der Akade-

Zügen entsprachen. De Piles wie Perrault bezweifelten, an-
ders als Reynolds, den Vorbildcharakter der Antike (vgl. PI-
LES 1710, S.30f. u. JAUSS 1964, S.10). Allerdings läßt sich
die These vom sozialhistorischen Hintergrund der Querelle,
die Vertreter der >Alten< seien der Aristokratie, die Vertreter
der Modernem hingegen dem Bürgertum zuzuordnen
(JAUSS 1964, S.10. Anm.7), nicht auf England übetragen und
dürfte auch für Frankreich nicht zu halten sein (vgl. STAK-
KELBERG 1980, S.52-54).
^Tfornztzg AErHd, April 1787; zit. nach WHITLEY 1915,
S.272.
^ Vgl. die Gegenüberstellung von Alt und Neu im Hinblick auf
Reynolds und Gainsborough in einer Kritik aus dem Jahre
1766: »There Gainsborough shines much honoured name,/
There veteran Reynolds, worthy of his fame.« (Zit. nach
WHITLEY 1915, S.46). 1777 schrieb Bäte zu Gainsboroughs
Porträt Carl Friedrich Abels: »Mr. Abels is the hnest modern
portrait we remember to have seen. The composition thro'
[sic] every part is hnely studied, and the whole is given in a
style of colouring that bespeaks the great Master.« (Yforubzg
Post, 25. April 1777; zit. nach WHITLEY 1925, S.32).
^ PRESS CUTTINGS 1686-1835, Bd.l, S.145: »The portraits
are without the ususal glitter of Mr. Gainsboroughs pencil
(which we think he sometimes carries to a fault) (...).« Das
Wort >pencil< bedeutet im englischen Sprachgebrauch des 18.
Jahrhunderts >Pinsel<. Die Kritik bezog sich auf zwei Män-
nerporträts, von denen eines William, 2nd Viscount Gage
darstellt (vgl. WATERHOUSE 1958, Kat.Nr. 272).

47
 
Annotationen