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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0074
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Technik

wieder lebensfähig, wenn sie unter Verwendung der guten alten Schraffentechnik zu
einigermaßen erschwinglichen Preisen zu arbeiten vermag, wenn ein Stamm von Wir-
kern heranwächst, dem durch jahrzehntelange Übung jeder Handgriff in Fleisch und Blut
übergegangen ist.

Von Einwirkung auf den Arbeitsvorgang ist ferner die zweckmäßige Organisation
des Ateliers. Le Brun baute die Gobelins, im Grunde genommen nichts weiter wie
eine Unternehmergruppe unter einheitlicher Leitung, nach flämischem Vorbilde auf.
Die Vorstände der einzelnen Werkstätten sind selbständige Meister, die ihre Wirker
nach der geleisteten Arbeit besolden und ihrerseits einen gewissen Aufschlag für Auf-
sicht, Mühewaltung und Gewinn in Rechnung stellen. Als Abrechnungsbasis für die
fertiggestellte Arbeit diente die Brabanter Quadratelle. In den Gobelins, wie in Brüssel,
finden wir neben niedrig besoldeten Wirkern, denen die Anfertigung der einfacheren
Teile der Behänge — Gewänder, Boden, Himmel und dergleichen — oblag, hoch-
bezahlte Kräfte, die sogenannten „Kopfarbeiter", die die schwierigen Partien des Tep-
pichs, die Durchbildung der Köpfe, Hände und der zarten Nuancen des Inkarnates zu
übernehmen hatten. Das System ist völlig auf kaufmännischen Betrieb eingestellt, ganz
gleich, ob Hautelisse- oder Basselissetechnik in Frage kommt. Da jeder Wirker nach
der tatsächlich geleisteten Arbeit bezahlt wird, hat er naturgemäß das Streben, mög-
lichst schnell vorwärts zu kommen und seine Kräfte auf das äußerste anzuspannen. Geht
die Aufsicht nicht gründlich und energisch vor, so erscheinen als logische Folgerung
die Versuche des einen oder andern Wirkers durch nachlässige Arbeit die Produktion
zu erhöhen. Ähnlich wie in den Niederlanden den Geschworenen der Zunft das Recht
zusteht, unvorschriftsmäßig ausgeführte Bildteppiche zu konfiszieren oder die Neu-
herstellung mangelhafter Teile zu verlangen, besitzen die Atelierleiter und Inspektoren
der Gobelins weitgehende Vollmachten. Liederliche Arbeit wird kurzerhand ohne Ver-
gütung entfernt. Daß die Maßnahmen rücksichtslos zur Durchführung kamen, zeigt
einesteils die Qualität der erhaltenen Erzeugnisse, andernteils fehlt es nicht an akten-
mäßigen Belegen. Als 1748 Dubois mit drei anderen Wirkern sich heimlich entfernt
und auf seiner Flucht verhaftet wird, gibt er im Verhör als Grund seines Vergehens
an: ule sieur Chastelein (der Inspektor der Gobelins) le traitoit et le menacoit souvent
de faire couper son ouvrage". Es scheint um die Mitte des 18. Jahrhunderts ein
scharfer Wind in den Gobelins geweht zu haben. Sein Leidensgefährte, ein gewisser
Coulon, nennt den gleichen Grund. Von besonderem Interesse ist die Aussage Rancons,
der sich „le seul officier de teste de Le Blond", den ersten Kopfarbeiter im Basselisse-
atelier Le Blonds nennt : „Dit de plus que le sr Le Blond ne lui rend pas justice pour
son talent, demande que ses portieres soient mesurees, d'apres les differentes natures
d'ouvrages." Er verlangt ordnungsmäßige Bezahlung entsprechend der Schwierigkeit
und Güte der Arbeit. Der vierte im Bunde der Flüchtlinge, der Wirker La Tour aus
dem Atelier Audrans, „a repondu qu'il ne prioit que son etat soit regle par semaine
avec le sr Audran, parce que, ayant ete oblige pendant deux ans, de ceder le tiers de
son ouvrage ä celui qui lui a montre, il s'est endette de 120 U que lui a avance son
maitre, qu'il propose de payer 8 U par mois en döduction". Die kurzen Angaben
erhellen besser wie lange Ausführungen die wirtschaftliche Stellung der in den Gobe-
lins beschäftigten Wirker. Ihre soziale Lage war durchaus nicht günstiger wie in den
Niederlanden; ihre persönliche Freiheit schien noch wesentlich beschränkter gewesen
zu sein. Die Furcht vor einem heimlichen Abwandern ging bei der Inspektion so weit,
daß selbst die Briefpost der Angestellten einer Kontrolle unterzogen wurde. Am 17. De-
zember 1752 schreibt Herr de Vandieres an die Atelierleiter der Gobelins, daß es nicht
dem öffentlichen Recht entspreche „d'intercepter les lettres et de les garder apres les
avoir lues".

Einen weiteren Übelstand bringt das kommerziell eingestellte System der Gobelins
mit sich, die Diebstähle und Unterschleife, die bisweilen groteske Formen annehmen.
Abgesehen davon, daß die Unternehmer außer ihren amtlichen Ateliers private Werk-
stätten unterhalten und unbedenklich Patronen der königlichen Manufaktur benutzen,

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