Deutung
dürren Worten: „affermavano, chel il bere assai e godere, e l'andar cantando attorno
e sollazando, et di ciö che avveniva ridersi e beffarsi essere medicina certissima (65).
Singen, Trinken, Zotenreißen galten als Allheilmittel.
Auch nach dem zeitweiligen Verlöschen der Pest behält der grobsinnliche Zug noch
jahrzehntelang die Herrschaft über die Gemüter.
Nur langsam gewinnt die Gegenströmung Raum. Die Kritik setzt ein. Man will
in der Frau nicht mehr das Weib allein sehen, man sucht der Herrin den alten Platz
als Hüterin alles Schönen, Guten und Feinen zurückzuerobern. Die ins Fratzenhafte
verzerrte Tracht, die allzu üppigen Gelage, die ohne Witz und Geist tage- und
wochenlang dauern und nur durch gewagte Narrenpossen und Schwanke unschöne
Unterbrechungen finden, erregen den Zorn und Spott tieferfühlender Zeitgenossen.
Dem Hofe Karls V. von Frankreich ersteht (1389) in Christine de Pisan eine eifrige
Yorkämpferin für Frauenzucht und Sitte.
Eine Reihe von tiefem ethischen Ernste durchtränkte Dichtungen fließen aus der
Feder der jungen, ebenso geistreichen wie schönen Witwe. Es entstehen „La Cite
des Dames; Le livre des trois Yertus (um 1406); L'Epltres sur le Roman de la Rose
(1399)" — eine Streitschrift gegen die de Meungsche Fassung des zweiten Teiles des
Rosenromans — und andere mehr. Verschiedene ihrer Schriften werden unmittelbar
als Leitfaden für reiche Wirkereifolgen benutzt. Wie langanhaltend der Einfluß ge-
wesen sein muß, illustriert am besten, daß noch 1513 die Stadt Tournai eine aus sechs
Teppichen bestehende Serie der Cite des Dames der Statthalterin, Margarete von
Österreich, als Geschenk überreichen läßt.
Die Neubelebung des alten Minnedienstes, in den von Christine de Pisan angeregten
Formen, überträgt sich rasch mit gewissen Variationen nach Burgund. Der Sieg ist
für die Länder der französischen Zunge entschieden, als der Herzog von Orleans, der
Bruder Karls V., mit seinem ganzen Anhange sich begeistert auf die Seite der neuen
Vorkämpferin des alten Frauenideals schlägt. Mit verfeinerter Pracht geht die Grün-
dung des Rosenordens vor sich. Frau Venus erscheint inmitten ihres Hofstaates, sie
verkündet feierlich die Satzungen und überreicht Christine die zierlich gemalten Sta-
tuten. Es entrollt sich das entzückende Fragespiel KLe DeT>at des deux amants". Die
Ordensmitglieder schmücken sich mit Rosenkränzen, die Dichterin erläutert an dem
reichen Wandteppich, der berühmte Liebespaare verherrlicht, den Sinnspruch, in
dem alle Treue und wahre Liebe wurzelt: „Qui bien ayme tout endure." Der Ge-
dankengang, der dem Ordensfeste zugrunde liegt, ist übrigens nicht neu — ein An-
klang an die Petrarcaschen Liebeshöfe ist unverkennbar —; er gewinnt auf die Bild-
wirkerei schnellen Einfluß. Wir finden reizvolle Motive, so die „Plaidoyerie d'amours",
u. a. in dem Textilienschatze, den Agnes von Cleve, die Nichte des Burgunderherzogs,
1439 ihrem Gatten Don Carlos, dem Prinzen von Viana, in die Ehe bringt (66).
Ein Tournaiser Teppichfragment in der Pariser Union des Arts decoratifs illustriert
mit starker Wahrscheinlichkeit die Gründung des Rosenordens oder einen nahe ver-
wandten Vorgang. Der Behang zeigt die thronende Venus — der Name findet sich
auf dem Brokatgewand —, neben ihr steht der Ordenskanzler, die Statutenrolle in
der Hand; im Vordergrunde defiliert mit ehrerbietigem Gruße das Kapitel, Damen
und Herren, paarweise geordnet.
Das gleiche Thema behandelt ein Bericht, den der Beauftragte Philipps des Guten
von VVien aus seinem Herrn sendet. Er spricht von drei Folgen „de Turquie", die
er im kaiserlichen Schlosse gesehen haben will. Der Beschreibung nach handelt es
sich zweifelsohne um Erzeugnisse von Arras oder Tournai. Die erste dieser Serien
stellt einen Liebesstreit vor dem Richterstuhle der Frau Venus dar, die Klagen zwischen
„Jeunesse" und „Vieillesse" zu entscheiden hat.
In geringerem Maße befruchtend wirkt der zweite auf Veranlassung Christinens de
Pisan gegründete „grüne Orden" auf die angewandte Kunst, trotzdem Held Baucicault
als Protektor auftritt. Die längeren lehrhaften, bisweilen zu gelehrten Werke Christinens,
wie der „Livre du chemin de longue estude", der unter anderem einen langatmigen
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dürren Worten: „affermavano, chel il bere assai e godere, e l'andar cantando attorno
e sollazando, et di ciö che avveniva ridersi e beffarsi essere medicina certissima (65).
Singen, Trinken, Zotenreißen galten als Allheilmittel.
Auch nach dem zeitweiligen Verlöschen der Pest behält der grobsinnliche Zug noch
jahrzehntelang die Herrschaft über die Gemüter.
Nur langsam gewinnt die Gegenströmung Raum. Die Kritik setzt ein. Man will
in der Frau nicht mehr das Weib allein sehen, man sucht der Herrin den alten Platz
als Hüterin alles Schönen, Guten und Feinen zurückzuerobern. Die ins Fratzenhafte
verzerrte Tracht, die allzu üppigen Gelage, die ohne Witz und Geist tage- und
wochenlang dauern und nur durch gewagte Narrenpossen und Schwanke unschöne
Unterbrechungen finden, erregen den Zorn und Spott tieferfühlender Zeitgenossen.
Dem Hofe Karls V. von Frankreich ersteht (1389) in Christine de Pisan eine eifrige
Yorkämpferin für Frauenzucht und Sitte.
Eine Reihe von tiefem ethischen Ernste durchtränkte Dichtungen fließen aus der
Feder der jungen, ebenso geistreichen wie schönen Witwe. Es entstehen „La Cite
des Dames; Le livre des trois Yertus (um 1406); L'Epltres sur le Roman de la Rose
(1399)" — eine Streitschrift gegen die de Meungsche Fassung des zweiten Teiles des
Rosenromans — und andere mehr. Verschiedene ihrer Schriften werden unmittelbar
als Leitfaden für reiche Wirkereifolgen benutzt. Wie langanhaltend der Einfluß ge-
wesen sein muß, illustriert am besten, daß noch 1513 die Stadt Tournai eine aus sechs
Teppichen bestehende Serie der Cite des Dames der Statthalterin, Margarete von
Österreich, als Geschenk überreichen läßt.
Die Neubelebung des alten Minnedienstes, in den von Christine de Pisan angeregten
Formen, überträgt sich rasch mit gewissen Variationen nach Burgund. Der Sieg ist
für die Länder der französischen Zunge entschieden, als der Herzog von Orleans, der
Bruder Karls V., mit seinem ganzen Anhange sich begeistert auf die Seite der neuen
Vorkämpferin des alten Frauenideals schlägt. Mit verfeinerter Pracht geht die Grün-
dung des Rosenordens vor sich. Frau Venus erscheint inmitten ihres Hofstaates, sie
verkündet feierlich die Satzungen und überreicht Christine die zierlich gemalten Sta-
tuten. Es entrollt sich das entzückende Fragespiel KLe DeT>at des deux amants". Die
Ordensmitglieder schmücken sich mit Rosenkränzen, die Dichterin erläutert an dem
reichen Wandteppich, der berühmte Liebespaare verherrlicht, den Sinnspruch, in
dem alle Treue und wahre Liebe wurzelt: „Qui bien ayme tout endure." Der Ge-
dankengang, der dem Ordensfeste zugrunde liegt, ist übrigens nicht neu — ein An-
klang an die Petrarcaschen Liebeshöfe ist unverkennbar —; er gewinnt auf die Bild-
wirkerei schnellen Einfluß. Wir finden reizvolle Motive, so die „Plaidoyerie d'amours",
u. a. in dem Textilienschatze, den Agnes von Cleve, die Nichte des Burgunderherzogs,
1439 ihrem Gatten Don Carlos, dem Prinzen von Viana, in die Ehe bringt (66).
Ein Tournaiser Teppichfragment in der Pariser Union des Arts decoratifs illustriert
mit starker Wahrscheinlichkeit die Gründung des Rosenordens oder einen nahe ver-
wandten Vorgang. Der Behang zeigt die thronende Venus — der Name findet sich
auf dem Brokatgewand —, neben ihr steht der Ordenskanzler, die Statutenrolle in
der Hand; im Vordergrunde defiliert mit ehrerbietigem Gruße das Kapitel, Damen
und Herren, paarweise geordnet.
Das gleiche Thema behandelt ein Bericht, den der Beauftragte Philipps des Guten
von VVien aus seinem Herrn sendet. Er spricht von drei Folgen „de Turquie", die
er im kaiserlichen Schlosse gesehen haben will. Der Beschreibung nach handelt es
sich zweifelsohne um Erzeugnisse von Arras oder Tournai. Die erste dieser Serien
stellt einen Liebesstreit vor dem Richterstuhle der Frau Venus dar, die Klagen zwischen
„Jeunesse" und „Vieillesse" zu entscheiden hat.
In geringerem Maße befruchtend wirkt der zweite auf Veranlassung Christinens de
Pisan gegründete „grüne Orden" auf die angewandte Kunst, trotzdem Held Baucicault
als Protektor auftritt. Die längeren lehrhaften, bisweilen zu gelehrten Werke Christinens,
wie der „Livre du chemin de longue estude", der unter anderem einen langatmigen
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