Deutung
Wettstreit vor dem Throne der Raison aufrollt, werden zwar unendlich oft gelesen
und rezitiert; sie scheinen nach den bisherigen Unterlagen aber nur geringen Einfluß
auf die Bildwirkerei geübt zu haben.
Der von der französischen Dichterin angeschlagene Ton findet in dem, von jeher
auf höfische Frauenverehrung gestimmten Hofe der burgundischen Herzöge aus dem
Hause Yalois rasch Eingang. Eine Reihe mehr oder weniger nachempfundener Dich-
tungen entstehen. Die Mehrzahl ist für unser Thema ohne besondere Bedeutung.
Lediglich die Schriften Martins Le Franc, der M Champion des dames" (1442) und
«L'Estrif de Fortune et de Vertu" (1447) scheinen, wenigstens in Einzelheiten, gewisse
Anregungen für Teppichfolgen gegeben zu haben. Das gleiche gilt von der französi-
schen Übertragung des „De casibus virorum et feminarum illustrium" Boccaccios und
anderen Werken des italienischen Dichters, die in ihrer Freude am geselligen Bei-
sammensein in Wald und Wiese wie eine Bestätigung der neu zum Leben erwachten
Liebeshöfe wirken. Der Einfluß Marias, der natürlichen Tochter Roberts von Anjou,
der „Fiammetta" Meister Boccaccios, wandelt die etwas trockene „plaidoyerie d'amours"
zum sinnigen Schäferspiel, zur Pastorelle.
1283 siedelt Adam de la Halle von Arras, wo er sich bereits 1262 durch das „Spiel
von der Blätterlaube" einen Ruf erworben hat, nach Neapel an den Hof Herzog Roberts
über. Es entsteht das Singspiel «Ii gens de Robert et de Marion", ein Vorläufer der
komischen Oper, mit Tanz und Gesangseinlagen. Robin und Marion ist eine regelrecht
durchgeführte Pastorale mit verhältnismäßig einfacher Handlung. Die Schäferin Marion
singt dem Geliebten Robin zur Freude ein Lied. Die Zwischenepisode, in der ein
Ritter vergeblich um die Gunst der Schönen wirbt und sie auf kurze Zeit entführt,
ist ohne sonderliche Bedeutung. Marion tanzt und singt mit ihrem Liebhaber und
seinen Freunden Baudon und Gautier. Eine zweite Schäferin findet sich zu fröhlichem
Getändel. Die Motive, zum ersten Male in reizvoll dramatische Form gegossen, sind
nicht neu. Das verliebte Schäferpaar und der mißgünstige Ritter gehören zu den
stehenden Figuren der Pastorellendichtung. Das Lied von Robin und Marion erlangt
neben Boccaccios Fiametta außerordentlich schnelle Verbreitung. Die „Puys", jene
eigenartigen Brüderschaften, die die Pflege von Musik und Poesie mit einem schwär-
merischen Marienkult verbinden, sorgen dafür, daß Meister Adams Dichtung in allen
Städten und Städtchen Nordfrankreichs und Flanderns, wohlinszeniert zur Freude und
Erbauung des Volkes zur Darstellung gelangt, Mahaut von Artois schmückt in Hesdin
die „Kemenate der Lieder" mit Szenen aus dem verliebten Spiel.
Die Pastorelle wird große Mode, sie bleibt es mehr wie ein Jahrhundert lang. Ab-
irrungen in das Gebiet der hohen Politik wie im „Pastoralet", einem Schäferspiel, das
die damaligen Zeitereignisse mit ihren blutigen Episoden zum Vorwurfe wählt, bei dem
die handelnden Personen unter Decknamen auftreten — Florentin = Karl VI. von Frank-
reich, Belligere = Königin Isabeau von Bayern, Löonet = Johann ohne Furcht von Bur-
gund usw. — kommen selten vor und scheinen ohne Einfluß auf die Bildteppich-
wirkerei geblieben zu sein.
Wie sehr die Vorliebe für Schäferspiele die vornehme Welt beherrscht, zeigt ein
Blick in das Inventar Margaretens von Flandern, der ebenso frommen wie kunst-
sinnigen Gattin Philipps des Kühnen. Wir finden mehrfach „couvertures de lit verde
ou il a I bregiere (bergier) et une bregire soubz une arbre" oder „I bregier et une
bregiere et plusieurs tropiaux de brebis." Die Rückenlaken und Truhendecken sind
„seme de brebis."
„Item, I drap de haulte lice ouvrö ä or et y a des bregiers et des bregieres, I arbre
dore et des brebis dessoubz le dit arbre. — Item IUI banquiers de vert a brebis,
aux armes de Madame. — Item, I tapis de haulteliche de plusieurs personnaiges, et
y a des brebis blanches et noirs. — Item, I demi ciel vert de haulteliche a brebis
et a bregiers, garni de couverture de lit, seme d'obespins et de chennes ou il y des
glans et y a bregiers et bregieres. — Item, une chambre vert de haulteliche a demy
ciel, sem6e de brebis ou il a I obespin et y pent I escriptiau des armes de Madame
80
Wettstreit vor dem Throne der Raison aufrollt, werden zwar unendlich oft gelesen
und rezitiert; sie scheinen nach den bisherigen Unterlagen aber nur geringen Einfluß
auf die Bildwirkerei geübt zu haben.
Der von der französischen Dichterin angeschlagene Ton findet in dem, von jeher
auf höfische Frauenverehrung gestimmten Hofe der burgundischen Herzöge aus dem
Hause Yalois rasch Eingang. Eine Reihe mehr oder weniger nachempfundener Dich-
tungen entstehen. Die Mehrzahl ist für unser Thema ohne besondere Bedeutung.
Lediglich die Schriften Martins Le Franc, der M Champion des dames" (1442) und
«L'Estrif de Fortune et de Vertu" (1447) scheinen, wenigstens in Einzelheiten, gewisse
Anregungen für Teppichfolgen gegeben zu haben. Das gleiche gilt von der französi-
schen Übertragung des „De casibus virorum et feminarum illustrium" Boccaccios und
anderen Werken des italienischen Dichters, die in ihrer Freude am geselligen Bei-
sammensein in Wald und Wiese wie eine Bestätigung der neu zum Leben erwachten
Liebeshöfe wirken. Der Einfluß Marias, der natürlichen Tochter Roberts von Anjou,
der „Fiammetta" Meister Boccaccios, wandelt die etwas trockene „plaidoyerie d'amours"
zum sinnigen Schäferspiel, zur Pastorelle.
1283 siedelt Adam de la Halle von Arras, wo er sich bereits 1262 durch das „Spiel
von der Blätterlaube" einen Ruf erworben hat, nach Neapel an den Hof Herzog Roberts
über. Es entsteht das Singspiel «Ii gens de Robert et de Marion", ein Vorläufer der
komischen Oper, mit Tanz und Gesangseinlagen. Robin und Marion ist eine regelrecht
durchgeführte Pastorale mit verhältnismäßig einfacher Handlung. Die Schäferin Marion
singt dem Geliebten Robin zur Freude ein Lied. Die Zwischenepisode, in der ein
Ritter vergeblich um die Gunst der Schönen wirbt und sie auf kurze Zeit entführt,
ist ohne sonderliche Bedeutung. Marion tanzt und singt mit ihrem Liebhaber und
seinen Freunden Baudon und Gautier. Eine zweite Schäferin findet sich zu fröhlichem
Getändel. Die Motive, zum ersten Male in reizvoll dramatische Form gegossen, sind
nicht neu. Das verliebte Schäferpaar und der mißgünstige Ritter gehören zu den
stehenden Figuren der Pastorellendichtung. Das Lied von Robin und Marion erlangt
neben Boccaccios Fiametta außerordentlich schnelle Verbreitung. Die „Puys", jene
eigenartigen Brüderschaften, die die Pflege von Musik und Poesie mit einem schwär-
merischen Marienkult verbinden, sorgen dafür, daß Meister Adams Dichtung in allen
Städten und Städtchen Nordfrankreichs und Flanderns, wohlinszeniert zur Freude und
Erbauung des Volkes zur Darstellung gelangt, Mahaut von Artois schmückt in Hesdin
die „Kemenate der Lieder" mit Szenen aus dem verliebten Spiel.
Die Pastorelle wird große Mode, sie bleibt es mehr wie ein Jahrhundert lang. Ab-
irrungen in das Gebiet der hohen Politik wie im „Pastoralet", einem Schäferspiel, das
die damaligen Zeitereignisse mit ihren blutigen Episoden zum Vorwurfe wählt, bei dem
die handelnden Personen unter Decknamen auftreten — Florentin = Karl VI. von Frank-
reich, Belligere = Königin Isabeau von Bayern, Löonet = Johann ohne Furcht von Bur-
gund usw. — kommen selten vor und scheinen ohne Einfluß auf die Bildteppich-
wirkerei geblieben zu sein.
Wie sehr die Vorliebe für Schäferspiele die vornehme Welt beherrscht, zeigt ein
Blick in das Inventar Margaretens von Flandern, der ebenso frommen wie kunst-
sinnigen Gattin Philipps des Kühnen. Wir finden mehrfach „couvertures de lit verde
ou il a I bregiere (bergier) et une bregire soubz une arbre" oder „I bregier et une
bregiere et plusieurs tropiaux de brebis." Die Rückenlaken und Truhendecken sind
„seme de brebis."
„Item, I drap de haulte lice ouvrö ä or et y a des bregiers et des bregieres, I arbre
dore et des brebis dessoubz le dit arbre. — Item IUI banquiers de vert a brebis,
aux armes de Madame. — Item, I tapis de haulteliche de plusieurs personnaiges, et
y a des brebis blanches et noirs. — Item, I demi ciel vert de haulteliche a brebis
et a bregiers, garni de couverture de lit, seme d'obespins et de chennes ou il y des
glans et y a bregiers et bregieres. — Item, une chambre vert de haulteliche a demy
ciel, sem6e de brebis ou il a I obespin et y pent I escriptiau des armes de Madame
80