Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0249
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Deutung

Ausstattung, in der prächtigen Szenerie. Die drei Quinaultschen Tragödien, die in
Bildteppichfolgen erscheinen, sind Roland (erste Aufführung bei Hofe am 18.1. 1685),
Amadis (erste Aufführung in der Acadömie Royale de Musique am 15. II. 1684) und
Armide (Acad. Roy. 15. II. 1686). Andere Stücke aus der Feder des fruchtbaren Poeten,
wie „Proserpine" (1680) oder „Phaeton" (1683) bleiben für unser Gebiet ohne sonder-
liche Bedeutung.

Armide findet im Wandteppich die meiste Verbreitung; sowohl die Gobelins, wie
auch Beauvais und Brüssel verarbeiten den Stoff in reichen Folgen. Die «Tragödie
en musique" beginnt mit dem Prologe, den „Nachruhm" und „Weisheit" sprechen.
Allegorische Gestalten erscheinen, umgeben von einer Art Hofstaat; Gloire mit einem
Troß von Helden, Sagesse mit einer Schar von Nymphen. Das Theater stellt einen
Palast dar. Das Textbuch bringt genaue und ausführliche Szenenanordnungen; die
Bühnenangaben — nicht der eigentliche Text — bilden den Leitfaden des Patronen-
malers. Maßgebend ist das Gesamtbild, die Staffage und malerische Gruppierung der
handelnden Personen. Es treten auf die Zauberin Armide, die Nichte des Hidraot,
ihre Freundinnen Phenice und Sidonie, Hidraot, der zauberkundige König von Damas-
kus, die Ritter Aronte, Artemidore, Ubalde, Danois und Renaud, ferner die allegorische
Gestalt des Hasses und ein Heer von Dämonen und Genien.

Der erste Akt geht auf einer architektonisch reich ausgestatteten, mit einem Triumph-
bogen abgeschlossenen Platzanlage in Szene. Armide bespricht mit ihren Freundinnen
die Kämpfe am Jordan; das Stück spielt zur Zeit der Kreuzzüge. Sie verzehrt sich
in Haß gegen den unbesiegbaren Ritter Renaud; trotzdem will sie von dem Drängen
ihres Onkels Hidraot, der ihr zur baldigen Vermählung mit einem Heidenkönige rät,
nichts wissen. Die Bühne bevölkert sich mit Kriegern des Reichs Damaskus. Tänze
und Gesänge feiern die Herrin Armide, die Besiegerin der Kreuzfahrer. Der Triumph
der Schönen wird durch die Ankunft des Aronte unterbrochen, der berichtet, Renaud
habe die gefangenen Ritter befreit.

Der zweite Akt zeigt eine liebliche Landschaft; Flußläufe umschließen eine Insel.
Renaud meidet infolge eines Zweikampfes das Lager Gottfrieds von Bouillon; sein
Freund Artemidore warnt ihn, das Reich der zauberkundigen Heidenfürstin Armide
zu betreten. Hidraot und seine Nichte nähern sich der Insel; die Sarazenen lauern
im Schilf. Renaud legt ahnungslos die Waffen nieder. Er wandert zum Flußufer;
auf blumigem Rasen entschlummert der Held. Eine Najade entsteigt den Fluten. Dä-
monen, in Gestalt von Nymphen, Schäfern und Schäferinnen erscheinen auf der Szene.
Die Verzauberung beginnt; Blumenketten umschlingen die Glieder Renauds. Armide
schleicht zu dem Schlafenden, den Dolch in der Faust.

Boucher verwertet die Episode, die wie kaum eine zweite Darstellung die Eigenart
der Quinaultschen Tragödie widerspiegelt, für die Beauvaisfolge der Fragments
d'Opera. Charles Coypel benutzt das gleiche Motiv in einer Gobelinreihe. Er hält
sich im allgemeinen an das von Quinault gegebene Szenenbild; die Änderungen sind
geringfügig; aus der Najade wird ein bejahrter Flußgott, an die sprudelnde Urne
gelehnt.

Armide versinkt in den Anblick des schlafenden Helden; der Dolch entfällt ihrer
Hand. Die Dämonen verwandeln sich in Winde und entführen Renaud und die
Zauberin. Armidens Feindschaft wandelt sich in Liebe. Vergebens beschwört sie die
allegorische Gestalt des Hasses: „La Haine sort des enfers accompagnö des Furies, de
la Cruaut6, de la Vengeance, de la Rage et des Passions qui dependent de la Haine".
Die Gefolgschaft der „Haine" zerbricht Bogen und Fackel des „Dieu d'amour", zerreißt
und verbrennt Liebesknoten und Bänder.

Ubalde mit diamantenem Schild und goldenem Szepter — zauberische Mittel, um
Renaud aus den magischen Banden zu lösen — dringt mit Ritter Danois in Armidens
Feengarten ein. Ein Sturmwind erhebt sich; die Szene wandelt sich in eine Wüste;
Abgründe klaffen; wilde Tiere und seltsame Ungeheuer stürzen sich auf die Helden.
Das wundersame Szepter verscheucht den Spuk. Eine liebliche Landschaft, mit

199
 
Annotationen