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Deutung

Wie stark die Anziehungskraft des „Großen Cyrus" gewesen sein muß, beweist, daß
schon bald nach seiner Drucklegung die ersten Folgen im Handel erscheinen. Es ist
bedauerlich, daß von der vollständigen Serie der „Histoire du Grand Cyrus^, die 1661
Graf Antoine de La Rocheaymon fertigen ließ, anscheinend kein Stück mehr an der
ursprünglichen Stelle vorhanden ist. Sechs Behänge «Cyrus et Mandane" kamen vor
1712 durch Heirat nach Schloß Trosny in der Normandie.

Der dritte große Zeitroman, der die beiden erstgenannten ablöst, verkörpert sich in
den «Aventures de Telömaque". In dem Werke Fenelons (1699) feiert das rein didak-
tische Moment seine Auferstehung. Das Opus gibt sich als Erziehungsroman, dazu
bestimmt, einem Prinzen in leicht faßlicher Form die Hauptgrundsätze der Regierungs-
weisheit zugänglich zu machen und fest einzuprägen, Der Dichter geißelt die Fehler
eines allzu ehrgeizigen, habsüchtigen oder verschwenderischen Fürsten. Der der Antike
entlehnte Stoff ließ Mißdeutungen und Anzüglichkeiten auf die höchsten Kreise Frank-
reichs weiten Raum. Es erscheint zum mindesten fraglich, ob Francois de F6nelon
bei der Abfassung seines Romans an eine politische Satire gedacht hat. Das Werk
erschien durch eine Indiskretion gegen den Willen des Autors im Buchhandel und
erlebte einen beispiellosen Erfolg.

Das Motiv ist Homers Odyssee entnommen. Mentor begleitet den jungen Telemach.
Die Abenteuer des Helden bei der Nymphe Kalypso, seine Liebe für die schöne Eu-
charis, der Aufenthalt bei König Idomeneus, werden mit empfindsamen Gefühle zum
Vortrag gebracht. Es fehlt nicht an Schiffbrüchen, kriegerischen Unternehmungen und
zauberhaften Episoden; selbst die Unterwelt wird eines Besuches gewürdigt. Neben
der Liebe nimmt die Staatskunst einen breiten Raum ein. Idomeneus, durch das Un-
glück weise gemacht, wird ein eifriger Schüler Mentors. Telemach entbrennt in
Liebe für die Tochter des Königs, die liebreizende und tugendhafte Antiope; er rettet
ihr das Leben uud empfängt den Lohn treuer Minne. Alle Vorbedingungen sind ge-
geben; Jung-Telemach wird zum würdigen, frommgläubigen Nachfolger seines ruhm-
gekrönten Vaters Odysseus. Von dem wahren Geiste der Antike ist wenig zu spüren;
das Altertum ist lediglich Vorbild und Vergleich, der schmückende, farbenfrohe Rahmen,
der den trockenen Leit- und Lehrgedanken Form und Leben verleiht. Die zahlreichen
Nachdichtungen, in erster Linie die berühmte Voyage du jeune Anarchasis en Grece
(1788) aus der Feder des Abbe Barthe^emy sind für unsere Abhandlung von geringem
Interesse. Die Kunst der Bildteppichwirkerei liegt zu Ende des 18. Jahrhunderts be-
reits in den letzten Zuckungen. In Brüssel vermag Jakob van der Borght sich nur
kümmerlich über Wasser zu halten, in Frankreich leuchten die Vorzeichen der großen
Revolution.

Man scheint bei den Aventures de Telemaque nicht allzu lange Zeit nach dem ersten
Erscheinen die Anschauung korrigiert zu haben, die in dem Opus einen den Regierungs-
prinzipien Ludwigs XIV. wenig freundlich gesinnten Schlüsselroman erblickt. Die zahl-
reichen, von den höchsten Kreisen bestellten Bildteppichfolgen sprechen gegen diese
Ansicht.

Die königlich spanische Sammlung besitzt zwei unvollständige Telemachserien, die
beide dem 18. Jahrhundert angehören. Die eine entstammt dem Brüsseler Atelier des
Urban Leyniers (255), die andere den Madrider Manufakturen Santa Barbara und Santa
Isabel — als Patronenmaler ist M. A. Houasse urkundlich bezeugt. Jan van Orley malt
für den Brüsseler Reydams-Leyniers-Konzern eine Telemachfolge, die aus neun Tep-
pichen besteht, nähere Einzelheiten bringt der Abschnitt Brüssel. Auch Beauvais pflegt
mit Vorliebe die elegante Serie, die in der Regel sechs Teppiche umfaßt. Der ent-
werfende Künstler ist «Arnault, de Bruxelles". Aubusson verarbeitet mehrfach den
Roman Föneions (256). Selbst die kleinen flämischen und holländischen Manufakturen
nehmen sich des berühmt gewordenen Stoffes an.

Die Oper, in erster Linie die lyrische Tragödie Quinaults, dient als zweite maß-
gebende Quelle für das Gebiet der Patronenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts. Der
Hauptwert liegt, soweit der Bildteppich in Frage kommt, in der reichen, üppigen

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