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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0294
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A r r a s

Andere Details wie die Behandlung der Architekturen, des Himmels, des Wassers,
arbeiten mit mehr oder weniger starken Abweichungen. Stilistische und Ateliereigen-
tümlichkeiten fließen ständig ineinander über, so daß eine einwandfreie Scheidung,
unter Zugrundelegung der wenigen uns erhaltenen Fragmente, kaum zu erreichen ist.
Das Pariser Louvre Museum birgt einen weiteren Behang — ein langes, niedriges
Rückenlaken —, der mit starker Wahrscheinlichkeit einem Arraser Atelier aus dem
Beginne des 15. Jahrhunderts zuzuweisen ist. Der Heiland entsteigt dem Grabe, in
der Linken die Siegesfahne; ein Engel hält im Hintergrunde den deckenden Stein, ein
zweiter das Leichentuch. Zwei schlafende Krieger vervollständigen die Szenerie. Den
seitlichen Abschluß bildet Strauch und Baumwerk mit den typischen farrenartigen
und herzförmigen Blättern, den seltsam verknorpelten Stämmen.

Zu der Gruppe der vorerst nicht mit Sicherheit einzugliedernden Behänge gehört in
erster Linie die berühmte Kreuzigung in der Kathedrale La Seo zu Saragossa (Abb. 192).
Die zur Verfügung stehenden Photographien lassen ein Gemisch Arraser und Tournaiser
Eigentümlichkeiten erkennen; wobei allerdings die ersteren stark zu überwiegen scheinen.
Eine örtliche Besichtigung, die Klarheit schaffen könnte, muß Zeitgenossen, die weniger
unter Valutanöten leiden, überlassen bleiben.

Ein Artikel des Burlington Magazine (1905) bringt eine kurze Abhandlung über
„A Tapestry of Martin of Aragon and Maria da Lima*. Der mit Gold und Silber
durchwirkte Altarbehang — St. Martin von Tours, St. Johannes der Täufer und St. Hugo
von Grenoble stehen vor dem waldigen, von einem Bache durchzogenen Hintergrund — mit
Wappenschilden, die angeblich auf den 1-410 verstorbenen König Martin von Aragonien
und seine 1407 verstorbene Gemahlin Maria da Luna Bezug haben sollen, stammt
sicherlich nicht aus dem Ende des 14. oder aus den ersten Jahren des 15. Säkulums,
wie der Autor annimmt. Es scheint sich — soweit ein Urteil an Hand der Abbildung
überhaupt möglich ist — um eine Tournaiser Arbeit aus der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts zu handeln.

Vereinzelt tauchen hier und da Fragmente auf, die mit dem Louvreteppich nahe
Verwandtschaft aufweisen. In erster Linie kommt ein ziemlich schlecht erhaltenes
Stück im Pariser Musee des Arts D6coratifs in Frage (Abb. 193). Es handelt sich um
eine Szene aus einer zeitgenössischen Dichtung; ähnlich wie im Roman de la Rose
erscheinen diskutierende Paare. Das farrenartige Baumwerk ist völlig identisch mit
dem Hintergrunde des Liebesteppichs, der mit dem Fragmente zur gleichen Serie ge-
hört, zum mindesten der gleichen Werkstatt entstammt, Die verunglückten Pflanzen-
büschel des Vordergrundes sind eine schlechte moderne Ergänzung.

Die Gesamtfolge im Pariser Mus6e des Arts Döcoratifs, zu der auch das erwähnte
Teilstück gehören dürfte, umfaßt fünf Teppiche. In bergiger, waldiger Landschaft,
die ein Bach durchströmt — typisch ist die Wiedergabe der Wassers — pflegen ver-
liebte Damen und Herren der Falkenjagd, ein Kavalier hilft galant der Herrin seines
Herzens über das schmale Gewässer, zwei Damen vergnügen sich mit dem Winden
von Kränzen usw. Schon Gaston Migeon brachte in seinem Werke KLes Arts du
Tissu" (Paris 1909) verschiedene, allerdings unzureichende Abbildungen, die die Zu-
schreibung an eine bestimmte Manufaktur zweifelhaft erscheinen ließen. Durch die
Liebenswürdigkeit der Herren Dr. Klinkhardt und G. J. Demotte erlangte ich Einsicht
in das erste Heft der jüngst erschienenen, prächtigen Publikation „G. J. Demotte: La
Tapisserie gothique" (Paris 1921), die in farbigen Teilaufnahmen (Tafel 146, 147) einen
Behang der Folge zur Wiedergabe bringt. Die Teppiche entstammen der Zeit um
1430; die Arraser Charakteristika sind unverkennbar; die grasartigen Pflanzen mit der
emporstrebenden Blüte erinnern stark an den Blayebehang, daneben erscheinen bereits
Vertreter der Flora, die auf die Tournaiser Auffassung — blühende, in Reihen gesetzte
Blumenbüschel — vorbereiten.

Ferner ist ein Teppich der Sammlung Weinberger (Wien) zu erwähnen, den 1917
Frau Dr. Betty Kurth zum ersten Male in ihrer vorzüglich durchgearbeiteten Mono-

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