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A r r a s

der Dame seines Herzens, die sich auf eine Rasenbank niedergelassen hat und, den
Falken auf der behandschuhten Linken, den Ritter zur Eröffnung des Liebesgespräches
einlädt. Die Behandlung des Strauchwerkes mit den bekannten runden Blättern, der
Waldbach mit dem auflodernden Wasser, die typischen Grasbüschel mit dem empor-
strebenden Stengel, der die drei Blüten trägt, die Lösung der Gewänder, der Ge-
sichter, der Hände, kurz alle Einzelheiten zeigen ein so starkes Obereinstimmen mit
dem Blayeteppich, daß an der Herkunft aus der gleichen Wirkerstadt kaum gezweifelt
werden kann. Der Louvrebehang zeigt insofern eine Sonderheit, als er eine neue Art
des Vordergrundabschlusses bringt, der inselartig zusammengefaßt wird. Das Motiv
ist dem Miniaturenstil entnommen. Sartor (31) gibt eine Buchmalerei aus den Lieb-
schaften des «Troyle (Troilus) et Crysoide (Cressida)" nach dem Sammelbande des
Georges Baussonnet (32) wieder, der 1604 „pour plaisir de suivre ceste vieille maniere
de portraire" eine Art Vergleichsmaterial zu den „gemalten Tüchern" der Salomo-
und Holofernesgeschichte schuf.

Troilus ist mit den Damen in lebhaftem Gespräche; den Hintergrund füllen Zelte und
eine Burganlage, die stark an die Arraser Teppiche erinnern; den Vordergrund schließen
die erwähnten Kurven. Auf die Wahrscheinlichkeit, daß ein gut Teil der «toiles
peintes" ausrangierte Hautelissekartons sind, ist bereits verwiesen. Inmitten des Vorder-
grundes des Louvreteppichs sprießen Rosenzweige empor; Blüten und Knospen sind
durch einige keck gesetzte Schatten charakterisiert, die Konturen in den Lichtern sind
durch Webespalten erreicht. Die Zeichnung der Zweige legt unwillkürlich den Ge-
danken nahe, verschiedene Teppiche im Pariser Louvre und New Yorker Metropolitan-
museum(Abb. 491), die ihre Motive dem Rosenromane entnehmen, mit den Wirkerateliers
vonArras in Verbindung zu bringen. Der Typus des Figuren spricht jedoch in stilistischer
Hinsicht mehr für Tournai, das gleiche gilt von der technischen Durchführung, so von
der Art der Übertragung der Brokatmuster in die Wirkerei, von der Wiedergabe
der Gesichtszüge, der Hände und der undekorierten Gewänder. Die Verwandtschaft
mit dem Tournaiser Schwanenritterteppich in der Katharinenkirche zu Krakau ist un-
verkennbar.

Die technische Durchbildung der Rosenblätter ist bei beiden Gruppen die gleiche, die
Blüten und Knospen sind in den New Yorker und den Pariser Behängen gegenüber
dem Liebesteppich im Louvre wesentlich kleinlicher gelöst. Die wreiche malerische
Auffassung ist nicht mehr vorhanden, trocken wird Blatt neben Blatt gesetzt. Hier
wie da wird von der Spalttechnik reichlicher und geschickter Gebrauch gemacht. Die
Wurzelballen der Rosenstämme zeigen den kurvenartigen Schwung, den wir als Ge-
ländeabschluß der Arraser Teppiche kennen. Immerhin überwiegen die Momente, die
für Tournai sprechen. Die starke Verwandtschaft mit Arras ist nicht allein durch die
nahen Beziehungen der Patronenmalerateliers der beiden Orte zu erklären; es muß
zudem in den Zeiten des schärfer einsetzenden Niederganges — um 1440 — auch ein
starkes Überfluten der Wirker nach dem glücklicheren Tournai stattgefunden haben.
Tüchtige Meister bringen ihre altbewährte Kunst in die neue, richtiger gesagt, in die
nun aufblühende Wirkerstadt. Es lassen sich typische Arraser Merkmale wie die
Baumschwamm-Felsen mit den zweigartig aufsprießenden Stämmen, die Darstellung
des Grases, sowie verschiedene rein technische Eigenarten in Tournaiser Teppichen
kaum anders erklären.

Noch charakteristischer liegt der Fall bei den Devonshire oder Hardwicke-Hall Jagd-
teppichen. Das farrenartige Blattwerk, das den Hintergrund des Liebesteppichs im
Louvre völlig ausfüllt, findet sich in abgewandelter Form in der Falkenjagd; die
Stechpalmen des Paduaner Behanges kehren in der Bärenjagd, die lanzett- und kreis-
förmigen Blättchen in sämtlichen Devonshireteppichen wieder. Abweichend ist die
Stammbildung, die glatte oder seltsam verkrüppelte Formen zu schachtelhalmartigen
Bildungen ummodelt. Die blühenden Pflanzenbüschel des Vordergrundes, die in der für
Tournai charakteristischen, gleichmäßigen Einordnung gewissermaßen aufmarschieren,
zeigen in der Formensprache unverkennbar Anlehnungen an die Arraser Bildteppiche.

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