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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0023
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Frühes Mittelalter bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts

die Gewänder, die im Faltenwurf die Abhängigkeit von dem Abrahamsteppich nicht ver-
leugnen, nehmen etwas mehr auf die Körperformen Rücksicht und erstreben eine gewisse
Modellierung. Die friesartig gereihten Gestalten suchen bei aller Monumentalität innere
Beziehungen zu einander zu gewinnen.

Material (Wolle, weißes Leinen) und Textur (5—6 Kettfäden) stimmen mit dem Abra-
hamsteppioh überein; die technische Durchführung ist handwerklich gleichwertig. In der
Mitte des Behanges thront Christus auf dem Regenbogen in der von den Erzengeln Gabriel
und Michael gehaltenen Mandorla, in der Linken das Buch, die Rechte zum Segen erhoben
(Abb. 2b). Zu beiden Seiten nehmen je sechs Apostel, in den Händen senkrechte Namens-
bänder, auf der Langbank Platz; links (Abb. 4b): Thomas, Johannes, Andreas, Jakobus,
Philippus, Petrus; rechts (Abb. 4a): Paulus, Jakobus minor. Bartholomäus, Judas, Simon
und Barnabas. Die Apostelreihe zur Rechten von Gabriel läuft ununterbrochen durch, der
Abschluß ist durch ein Turmgebilde betont; die Gruppe der sechs Apostel zur Linken von
Michael ist zu je zweien zusammengefaßt, die drei hierdurch entstandenen Abteilungen sind
durch zwei schmächtige Türme getrennt und durch einen dritten mächtigeren Turmbau
abgeschlossen.

Von der Palmettenbordüre, die den Teppich wahrscheinlich an allen vier Seiten faßte,
sind lediglich der vollständige linke Schmalrand und Teile der oberen Leiste erhalten ge-
blieben, durch nicht zugehörige geknüpfte Herzblattpalmetten und Rosetten ergänzt.
Schon die in älterer Zeit erfolgte Anfügung legt den Gedanken an die Entstehung in einem
Atelier nahe, das sowohl die Wirk- als auch die Knüpftechnik pflegte, eine Hypothese, für
die nach den bislang bekannten Unterlagen lediglich Quedlinburg in Frage käme. B. Kurth
zieht den Schluß, daß der Abrahams- und der Apostelteppich aus dem „nämlichen Produk-
tionszentrum, ja aus derselben Werkstatt stammen"37). Die Folgerung ist nur dann gerecht-
fertigt, wenn dem Atelier eine wesentliche Vervollkommnung des handwerklichen Könnens,
ein nicht minder beachtliches Fortschreiten der Färbereitechnik zugesprochen werden darf.
H. Schmitz legt zwischen den Abrahams- und den Apostelteppich eine Spanne von etwa
40 Jahren, B. Kurth m. E. mit mehr Recht eine solche von nur ein bis zwei Dezennien.

Die stilistische Eingruppierung des Apostelbehanges erweist sich weniger schwierig als
die Sicherung des Abrahamsteppiohs. Die klarer und geschickter in schärferer Anlehnung
an den Karton durchgeführten Gestalten, vornehmlich die Köpfe, lassen die Abhängigkeit
von der niedersächsischen Buchmalerei der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts deutlich
erkennen, die den Übergang von der aszetisoh-linearen Formensprache zu dem malerischen
und plastischen Stile sucht. B. Kurth bringt vorzügliches Vergleichsmaterial38). Gesichts-
typ, Faltenwurf, Bewegung, Architektur zeigen unzweideutig, daß die Entwerfer des
Apostelteppichs, die selbstverständlich mit den Zeichnern des Abrahamsbehanges nicht das
mindeste zu tun haben, selbst routinierte Miniaturen- eher noch Kirchenmaler waren. Be-
merkenswert ist der zeitlich geringe Unterschied der beiden Halberstädter Behänge, des
Abrahams- und des Apostelteppichs. Ziehen wir zunächst die Farbenpalette in Betracht, so
läßt sich feststellen, daß außer den mit dem Abrahamsteppich übereinstimmenden Grund-
farben eine Erweiterung der Tonstaffel stattgefunden hat. Neben Blau, Rot, Grün, Gelb,
Dunkelbraun und Weiß finden wir Hellgrün, Olivgrün, Blaugrün, sowie Braun in mehreren
Abstufungen. Bedeutungsvoller erscheint mir der Fortschritt der Technik, der sich zwanglos
aus dem auf anderer Basis komponierten Karton erklärt. Die Abschwächung des Linien-
stiles, die weiche Modellierung der Gewänder verlangt Farbübergänge, für die Wirkerei-
technik der Frühzeit ein geradezu revoltierendes Novum. Das alte Schema der breiten von
einer Schmallinie begleiteten Falte wandelt sich insofern, als eine oder zwei Zwischen-
nuancen eingelegt werden; die Rundform wird bei scharfen Knicken zum ausgesprochenen
Dreieck; selbst Andeutungen einer frühen Schraffentechnik finden sich bei dem Unter-

2 Göbel, Wandteppiche III.

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