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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0024
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Frühes Mittelalter bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts

gewand des Bartholomäus, dergestalt, daß dünne spitzwinklig verlaufende Linien, der Kontur
der Falten folgend, von der Rundfalte ausgehen. Besonders beachtenswert ist die Wieder-
gabe des Gewandes Christi. Die Tütenfalte des weißen Unterkleides unterhalb des linken
Knies wird sehr geschickt modelliert durch die beiden seitlichen dunklen Lagen und drei
dünne Linien, der Rundung entsprechend in Abständen gelegt; eine weiße Kante betont
die untere Abschlußkurve, eine Methode, die, stark an die byzantinische Malweise erinnernd,
in Verbindung mit der Schattengebung durchaus selbständig ist. Noch weit charakte-
ristischer machen sich die Lichtlinien in dem Obergewand am und unter dem rechten Knie
geltend, die spiralartig, die Kniescheibe markierend, in die dunkle Schattenlage einschnei-
den, spitzwinklig die helle von der dunklen Zone trennen, die in seltsamem Gegensatz
stehen zu den dunklen, braunen und roten Faltenkonturen. Die gleiche Technik der grell
auflichtenden hellen Linien, der scheibenartig den Körperformen — Schulterblätter usw. —
angepaßten Schatten, der mit oder ohne Strichlagen angefügten Mittel- bzw. Grundtöne
läßt sich in ausgesprochenster Weise bei den in einer Reihe sitzenden Aposteln zur Rechten
St. Gabriels feststellen, während die links von St. Michael paarweise angeordneten Jünger
in der Art der Gewandmodellierung weit stärker die alte Technik des Abrahamsteppichs
vertreten. Die Gegenüberstellung des Petrus mit dem zerknitterten, technisch-plastisch noch
unsicher gelösten Gewand und des Barnabas mit der weichen vollendeten Modellierung
spricht besser als lange Ausführungen. Die Tatsache läßt sich lediglich aus der Annahme
erklären, daß die linke Hälfte des Teppichs Jahre zuvor begonnen wurde, daß die Arbeit
aus nicht ersichtlichen Gründen liegen blieb und mit dem Christus in der Mandorla und
den nun in ganz anderer Anordnung, unter fast realistischem Gesichtspunkte disponierten
Aposteln, die unzweideutig den Versuch einer Wechselbeziehung erstreben, zu Ende geführt
wurde. Ob es sich um verschiedene Wirkerinnen bei den beiden Teppichphasen handelte,
ist nicht ohne weiteres zu entscheiden, ebensowenig, von welcher Stelle aus die höher
stehende Technik übermittelt wurde, sofern es sich nicht um die reguläre Weiterbildung
des alten Wirkerinnenstammes handelte, eine Annahme, die nicht ohne weiteres zu ver-
werfen ist. Zeigt die Wiedergabe der Gewänder (rechts von der Mandorla) beachtenswerte
Fortschritte, so trifft dies auf die Durchbildung der Köpfe nicht in dem gleichen Maße zu,
die sich zwar erheblich von denen des Abrahamsteppichs unterscheiden, die aber rechts
und links von Christus keine sonderlichen Abweichungen zeigen. Das Haupt des Barnabas
(zu äußerst rechts) verrät eine bemerkenswerte Verwandtschaft mit dem in der Opferszene
knienden Knaben Isaak, in gewisser Hinsicht auch mit dem Kopfe des Drachentöters
St. Michael im Abrahamsbehang. Die technische Durchbildung der Haare, der Augen und des
Mundes ist in allen Fällen die gleiche. Der Unterschied liegt im wesentlichen in der fort-
geschrittenen Spalttechnik. Die alte Methode der groben Konturen, unterstrichen durch die
begleitende weiße Parallellinie, ist zugunsten einer natürlicheren Lösung verlassen. Die
breite Fassung wird bei den bartlosen Gesichtern durch geschickt untereinander gelegte
Spalten, die spitzwinklig am Ohr zusammenlaufen, ersetzt. Die gleiche Virtuosität der Spalt-
lagentechnik, in Verbindung mit einer vorsichtigen farbigen Tönung der schmalen zwischen-
liegenden Teile, kehrt wieder bei der Markierung des Kehlkopfes, bei der Unterstreichung
des unteren Augenrandes, in einfachster Form bei der Begrenzung des kreisförmigen
Backenrotes. Die Schattenlagen der Hände, sowohl auf der Ober- als auf der Innenfläche —
Hand des Paulus und des neben ihm sitzenden Jakobus — sind äußerst wirkungsvoll und
plastisch durch Spalten, die den Wölbungen des Rückens, der Ballen usw. folgen, von den
lichten Lagen geschieden. Auch hier läßt sich bei den Jüngern zur Rechten der Mandorla
gegenüber den paarweise sitzenden Aposteln ein erheblicher technischer Fortschritt fest-
stellen. Die Spalten der Schlüsselhand des Petrus wirken im Vergleiche mit den Händen
des Paulus usw. ungleich gröber, wenn auch das Prinzip das nämliche ist.

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