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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0098
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Elsaß

II. Ausgeführte Arbeiten.

1. Der Nürnberger Spielteppich.

Von überragender Bedeutung ist ein Behang, den H. Schmitz als südostdeutsch5), B. Kurth
als elsässisch, den ich selbst in dem 1. Teil meiner Wandteppiche0) als oberdeutsch (süd-
deutsch) bezeichnete, der bekannte Spielteppich im Germanischen Museum zu Nürnberg.
Das Gefüge ist mit 6 Kettfäden mittelfein, das Material, Wolle, Gold und Silber, ungewöhn-
lich reich; die Gesichtskonturen sind teils gewirkt, teils mit dem Stifte eingezeichnet, teils
im Stilstich nachgetragen; das Format (H. 1,60 m, L. 3,94 m, Gesamtabbildung s. Teil I,
2, Abb. 59) fällt aus dem üblichen Rahmen. Das Stifterpaar hat sich in zwei klar gezeich-
neten übereinander gestellten Wappen verewigt — die leider nicht zu deuten sind. Der
Behang gliedert sich in zwei Zonen; in der Mitte des oberen Streifens ragt auf kahlen
Felsen ein mächtiges Schloß (Abb. 57) mit halbkreisförmig nach dem Burghofe zu geöff-
neten Wehrtürmen; links erheben sich eine kleinere Burg mit Windmühle und ein abseits
und tiefer gelegenes Kirchlein, rechts eine umfangreiche Klosteranlage mit Kräuter- und
Obstgarten; auf dem schluchtartigen Zugangswege treffen sich zwei Bettelmönche. Die
Senke zwischen dem großen (Mitte) und dem kleinen Schloß (links) ist von bewaldeten
Klippen besäumt; in dem blumigen Talgrund vergnügt sich eine höfische Gesellschaft mit
dem, nach altfranzösischen Inventaren delikat ,,la main chaude" genannten Spiel, der
deutschen Jugend unter dem gröberen Ausdruck „Schinkenklopfen" noch wohlbekannt.

Die architektonischen Motive fallen in dem unteren, niedrigeren Streifen, der gewisser-
maßen die Tal- und Spielwiese darstellt, naturgemäß ganz fort. Links gehen fünf Paare im
Kreise, dergestalt, daß der Herr (hinter der Dame) die Hände unter die Achsel seiner Part-
nerin legt — und umgekehrt —; das Spiel „Wechselt das Bäumchen" ist mit verschiedenen
Varianten noch heute geläufig. Das gleiche läßt sich allerdings nicht von der nun folgenden
Szene, dem Quintana- (Quintaine-) Spiel behaupten. Die Dame sitzt auf dem Rücken eines
am Boden kauernden Kavaliers; sie streckt wagerecht, von einem stehenden Mitspieler
gestützt, das linke Bein ihrem Partner entgegen, der in sprungartiger Bewegung zu einem
kräftigen Stoß, der die Dame aus dem Sattel heben soll, ausholt. Die gekrönte Minne-
königin, von einem Schiedsrichter und einer weiblichen Sachverständigen sekundiert, ver-
folgt aufmerksam das Ergebnis. Schriftbänder rahmen und unterstreichen die kämpfenden
Gruppen7). Anschließend folgt das Blindekuhspiel; zwischen den Teilnehmern springt ein
Hündchen. Rechts schließlich geht ein Minnegericht, ganz im Stile der zeitgenössischen
„Plaidoyerie d'amour"8), in Szene. Der geheiligte Gerichtsplatz, der „verger", ist durch
einen Zaun eingefriedigt; Herrin Minne, die Krone auf dem Haupte, nimmt auf dem Hoch-
sitze, einer Gartenbank mit aufgelegtem Kissen, Platz; zwei Kavaliere dienen stehend als
Spruchhelfer; der eine hält einen Apfel in die Höhe, vielleicht die Anspielung auf ein
Minnevergehen in der Art des ungalanten Parisurteils9). Wenn die Worte auf die Dame
Bezug nehmen, die mit derben Stricken einen älteren und einen jüngeren Kavalier am
Holzgeländer festschnürt, scheinen sie zum mindesten einen ironischen Beigeschmack zu
haben, sofern sie nicht allzu gedankenlos, ohne inneren Anteil an dem Vorgang gewählt
sind10). Die Hauptepisoden werden durch kleine, die Architekturen unterstreichende und
belebende Staffagefiguren ergänzt. Vor der Klosterkirche sitzt ein Knabe am Flußlauf und
beschäftigt sich mit Angeln; über dem Quintainespiel erlegt ein Jäger auf Klippenhöhe
einen Hirsch; rechts davon verfolgt ein Hund einen Affen. Der Behang wurde in den sech-
ziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts von Baron Aufseß in Nürnberg erworben.

Hermann Schmitz bezeichnet den Teppich aus stilistischen Gründen als südostdeutsch,

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