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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0077
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II. Die Bodenseegegend. Wirkerorte der Nordschweiz

und Süddeutschlands.

1. Konstanz.

Die Einreihung des alten oberrheinischen Kulturmittelpunktes Konstanz1) in die Zahl
der frühen deutschen Wirkerstädte steht zunächst auf schwachen Füßen. Das Haus „Zur
Kunkel" zu Konstanz trug einst Wandmalereien aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts;
eine Kopie des Freskos birgt heute das Konstanzer Museum. Vor einem Hochstuhl primi-
tiver Konstruktion sitzt die Wirkerin, in der Rechten die Fliete, die Linke teilt das Fach.
Die Inschrift, oberhalb der Darstellung kündet: „(So kann ich) haidenschwerigen"2). Die
Darstellung läßt, wenn auch nicht mit unbedingter Sicherheit, darauf schließen — die Ma-
donna wird in einer späteren Zeitspanne im westlichen Kunstkreis noch mehrfach als Wir-
kerin, zumeist allerdings am tieflitzigen Stuhle, dargestellt —. daß in Konstanz bereits um
die Wende des 13. Jahrhunderts die Kunst der Heidnischwirkerei nicht unbekannt gewesen
sein kann. B. Kurth3) bringt mit Konstanz zwei Fragmente in Verbindung, die bereits
mehrfach Gegenstand literarischer Erörterung gewesen sind. Es handelt sich um zusam-
mengehörige Bruchstücke, Christus am Kreuz zwischen Maria, Johannes und zwei Hei-
ligen, ehedem in der Sammlung Hoentschel, gegenwärtig im New Yorker Metropolitan-
Museum (Abb. 41) — von der amerikanischen Forschung als Frühpariser Arbeit angespro-
chen — und ein zusammengestückeltes Fragment (Abb. 42, H. 0,75 m, L. 1,64 m), sechs
Heilige, im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg. Vor sternbesätem blauem Grunde
hängt der blutüberströmte Kruzifixus, links erscheinen die Gestalten der Madonna und der
heiligen Katharina, rechts neigen Johannes und St. Margareta das Haupt. Das Fragment ist
das Mittelstück des Behanges im Germanischen Nationalmuseum. Auf St. Katharina folgen
links die gekrönte Klara mit Lamm und Palme, Johannes der Täufer mit dem Gotteslamm
und St. Agnes mit Monstranz und Palme. Rechts schließen sich mit ihren Attributen an
St. Dorothea, Petrus und Paulus. Die Farben sind beschränkt — Weiß, Schwarz, Grau in
zwei, Rot in drei, Grün in zwei Nuancen, Gelb und Blau in einem Ton —, als Material dient
Wolle, die Textur (5 Kettfäden auf den Zentimeter) ist mittelgrob. Die Sprache des Stiles ver-
weist auf die Bodenseegegend. Die Kreuzigung aus einem Konstanzer Glasgemälde4) der ersten
Hälfte des 14. Jahrhunderts — gegenwärtig im Münster zu Freiburg —, das deutlich den
Einfluß nord-französischer Miniaturenkunst verrät, zeigt einen Kruzifixus, der in seiner
Haltung dem Gekreuzigten des New Yorker Teppichfragments außerordentlich nahe steht.
Charakteristisch ist das tief herabgesunkene, fast abgeknickte Haupt des Erlösers, im Bogen
hängen die dünnen Arme, das Gewand fällt, nach der Innenseite sich bauschend, über die
mageren, scharf gekreuzten Waden, die Finger sind über den Nagelwunden gespreizt, nicht
gekrampft; die Haare fallen in welligen, übereinandergelegten Strähnen. Als zweites nicht
minder wichtiges, datiertes (1348) Vergleichsmoment, dient das Kreuzigungsfresko in der
Konstanzer Münstersakristei5), das im Faltenwurf des Schamtuches, in der Wiedergabe des
Oberkörpers, in dem weniger stark eingezogenen Unterleib unserem Teppich noch näher
kommt. Als dritte Parallele ist ein gesticktes Parament (1359) im Landesmuseum Bern zu
erwähnen, das die Christusgestalt in den gleichen typischen Linien zur Darstellung bringt.

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